Zwölf Tage lang war der Nord-Ostsee-Kanal zum Jahresende wegen eines Ölunfalls gesperrt - dem größten seit Jahrzehnten. Der Schaden an Umwelt und Wirtschaft lässt sich noch gar nicht beziffern. Inzwischen mehren sich die Vorwürfe, das Unglück hätte verhindert werden können.
Freitag, 16. Dezember 2022: In der Dunkelheit geht Martin Fuhrmann zu seinem Arbeitsort direkt am Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen). Es ist 6.20 Uhr früh. "Beim Eintreffen an meinem Arbeitsplatz hab ich starke Gerüche wahrgenommen, woraufhin ich geguckt habe, wo das herkam. Und ich habe dann festgestellt, dass sich Öl auf der Wasseroberfläche im Bereich der Böschung befunden hat." Er beschreibt den Ölfilm als 250 bis 300 Meter lang und am Anfang etwa zwei Meter tief, schmaler werdend Richtung Schleuse. "Der Gestank war intensiv, das war nicht schön."
Martin Fuhrmann heißt eigentlich anders, doch er möchte unerkannt bleiben - zu groß ist die Sorge vor negativen Folgen. Über das, was er am 16. Dezember am Kanal wahrgenommen hat, möchte er trotzdem reden, denn eine Sache lässt ihn seitdem nicht los: Hätten die Behörden gleich ab dem 16. Dezember richtig nach der Quelle des Öls auf dem Wasser gesucht, hätte dann das große Ölunglück am 21. Dezember mit 300.000 Litern ausgelaufenen Rohöls verhindert werden können?
Grafik: NDR SH
"Beißender, stechender Geruch"
Er sagt, für ihn war am 16. Dezember um 6.20 Uhr klar: Das muss Rohöl sein. "Das ist so ein beißender, stechender Geruch", sagt Fuhrmann, der würde sich von normalem Kraftstoff unterscheiden. Er informiert die Polizei und das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Elbe-Nordsee (WSA). Zum selben Zeitpunkt liegt gut 90 Kilometer entfernt vor Helgoland die "North Sea", ein Tankschiff mit 229 Meter Länge. Das Fassungsvolumen der North Sea beträgt 120.000.000 Liter Rohöl. Ihr nächstes Ziel ist der Elbehafen in Brunsbüttel.
Feuerwehr früh an der richtigen Stelle - ohne sie zu finden
Um 10.58 Uhr, viereinhalb Stunden nach Martin Fuhrmanns Entdeckung, ruft die Wasserschutzpolizei die Feuerwehr Brunsbüttel an den Einsatzort - den Binnenhafen Brunsbüttel. Ihre Aufgabe ist die Bekämpfung des Öls auf dem Wasser. Nach eigener Aussage legen sie schwimmende Ölsperren aus, um das Öl auf der Oberfläche im Hafenbecken zu halten und daran zu hindern, in den Kanal zu fließen. Obwohl die Feuerwehrleute für Ursachenforschung nicht zuständig sind, schauen sie trotzdem nach, wo das Öl herkommen könnte. "Wir waren mehrfach da, haben unter anderem in unmittelbarer Nähe des Dükers am 16. Dezember die Ölschlängel befestigt. Wir waren auch landseitig da", sagt Marc Weilke, der als Einsatzleiter der Feuerwehr vor Ort war.
Ein Düker ist die Unterführung eines Rohres, in diesem Fall für die Unterführung für die Ölpipeline unter dem NOK - die Pipeline, in der später ein Loch entdeckt wurde und aus der am 21. Dezember eine gewaltige Menge Rohöl ausgetreten ist. Die Wasserschutzpolizei, die für die Ursachenforschung zuständig ist, gibt auf Nachfrage bislang keine Auskunft darüber, welche Maßnahmen sie ergriffen hat. Fest steht: Das Ergebnis einer Wasserprobe lag erst am 21. Dezember vor, als das größere Unglück bereits geschehen war.
Feuerwehr rückt erneut an
Am 17. Dezember um 2.58 Uhr wird die Feuerwehr Brunsbüttel erneut an die Stelle gerufen: "Die Feuerwehr erkannte mit der weiteren Alarmierung, dass die vorgehaltenen Mittel am Standort Brunsbüttel nicht ausreichen", so Ole Kröger, vom Kreisfeuerwehrverband Dithmarschen. In Abstimmung mit dem Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN.SH) sei dann weiteres Gerät zur Ölbekämpfung angefordert worden. Die Quelle der Ölverschmutzung war also nicht versiegt.
"Danach ist dann aber nicht mehr viel passiert", sagt Martin Fuhrmann. Für ihn ist das unverständlich, denn: "Man hat eindeutig sehen können, wo das Öl herkam, beziehungsweise wo es eingetreten ist. Und da hätte man meines Ermessens nach viel intensiver schauen müssen, von wo das Öl kommt." Er bemängelt, dass das nicht intensiver verfolgt worden sei - obwohl allein er zwei Behörden informiert hat: die Polizei und das WSA.
"Kein Pingpong zwischen den Behörden"
Dabei sind Polizei und WSA nur zwei von acht Stellen, die im Falle eines Ölunfalls auf dem NOK miteinander koordiniert werden müssen. Anfragen bei allen acht, von der Unteren Wasserbehörde über LKN.SH und WSA, THW, Feuerwehr, Polizei, Havariekommando bis hin zum Umweltministerium: Eine intensive Ursachenforschung wurde uns von keiner der angefragten Stellen als eine der ersten Maßnahmen genannt. Einzig in der Antwort der Wasserschutzpolizei heißt es, dass Ursachenforschung zwar zu ihren Aufgaben gehört, sie aber unsere Frage nicht beantworten kann, solange die Ermittlungen noch laufen.
"Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass es zu einem Pingpong zwischen den Behörden kommt", sagt Oliver Kumbartzky von der FDP, der in Brunsbüttel verwurzelt ist. Er geht davon aus, dass das Thema die Politik noch lange beschäftigen wird: "Und man muss sich schon die Frage stellen, falls es wieder zu so einem Ölunfall kommt, was wir uns nicht wünschen, wie sind Entscheidungswege und wer trifft Entscheidungen?"
Zu fragen, ob der Ölunfall hätte verhindert werden können, findet Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) zwar legitim, aber: "Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich darauf vertraue, dass vor Ort nach der Ursache geforscht worden ist und dass ich auch weiß, dass das so ist." Der Ölaustritt, der ab dem 16. Dezember sichtbar war, hätte eine Größe gehabt, die häufiger vorkommt. Deswegen hätten die Personen vor Ort nicht ahnen können, wie groß er werde, so Goldschmidt: "Insofern habe ich für beide Seiten Verständnis: Für die, die sagen 'Mensch, hätte man es nicht irgendwie verhindern können?' - Genauso wie für die Kräfte vor Ort, die entschieden haben: 'Wir gehen davon aus, dass die Lage im Griff ist.'"
Tanker wird abgepumpt - trotz Leck in der Pipeline
Während die Einsatzkräfte davon ausgingen, dass die Lage im Griff ist, setzt sich der Öltanker "North Sea" am 20. Dezember in Richtung Elbehafen Brunsbüttel in Bewegung. Eine Ursache für das Öl auf dem Wasser ist nicht bekannt. Inzwischen beschwerten sich einige Personen, die am NOK in Brunsbüttel arbeiten, bei Behörden und Vorgesetzten über den einen beißenden Gestank. Sie berichten sogar von Schwindel und Übelkeit.
Am Mittag des 20. erreicht die "North Sea" den Elbehafen, unter enormem Druck wird das Rohöl vom Tanker in die Pipeline gepumpt, die es zum Tanklager der Raffinerie Heide auf der anderen Seite des NOK bringen soll. Inzwischen ist bekannt: Genau in dieser Pipeline befand sich ein Leck von der Größe eines Zwei-Euro-Stücks, aus dem seit mindestens fünf Tagen Rohöl in den Kanal läuft. Am nächsten Morgen ist das wahre Ausmaß des Ölaustritts sichtbar: 300.000 Liter Rohöl sind aus der defekten Pipeline in den Nord-Ostsee-Kanal gelaufen, die sich durch Wetter und Schiffe kilometerweit verteilt haben.
Goldschmidt: "Behörden haben effizient gearbeitet"
Für Martin Fuhrmann ist das bitter: "Das hat einfach alles zu lange gedauert. Man hätte weniger reden sollen, da muss man angreifen, reagieren, handeln." Umweltminister Goldschmidt widerspricht dem Eindruck, dass zu wenig gehandelt worden sei: Die Behörden hätten effizient gearbeitet. Der Eindruck, dass acht Behörden und Stellen die Sache verkomplizieren könnten, könne er von außen nachvollziehen, doch jede dieser Stellen habe ihre Berechtigung. Trotzdem: "Zu jeder guten Krisenbearbeitung gehört auch eine Evaluation, wo dann auch die verschiedenen Behörden daran mitarbeiten, den Verursacher zu ermitteln." Goldschmidt werde sich persönlich an dieser Evaluation beteiligen.
Laut Staatsanwaltschaft wird wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung ermittelt. Frühestens Mitte März könnten erste Ergebnisse vorliegen - und damit dann auch eine Antwort auf die Frage, ob der größte Ölunfall in der Geschichte Schleswig-Holsteins hätte verhindert werden können.
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