von RA Michael Werner
Das LG Frankfurt/Oder hat mit – noch nicht rechtskräftigem – Urteil vom 20.08.2015 – 31 O 16/15 – Folgendes entschieden:
Wird ein Angebot nach Ablauf der durch die VOB/A maximal vorgesehenen Bindefrist, aber innerhalb einer insoweit ohne Rechtsgrund in den Vergabeunterlagen festgelegten und durch den Bieter unterschriebenen überlangen Bindefrist – hier 84 Tage – „bezuschlagt“, kommt hierdurch kein Vertrag zustande.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte für die Sanierung mehrerer Wohnhäuser 19 Fachlose im Offenen Verfahren europaweit nach VOB/A ausgeschrieben; ein Fachlos (Los 12) umfasste Fliesenlegerarbeiten. In den Ausschreibungsunterlagen legte der AG durch Terminvorgaben ohne weitere Begründung fest, dass die Bieter 84 Kalendertage an ihr Angebot gebunden seien. Für das Los 12 unterbreitete Bieter A das günstigste Angebot. Noch vor Zuschlagserteilung teilte A mit, aufgrund anderweitiger Aufträge den Auftrag teilweise nicht ausführen zu können. Gleichwohl erteilte der AG – konkret 82 Tage nach Angebotsabgabe – dem Bieter A den Zuschlag. Nachdem A darauf die Leistungsausführung verweigerte, kündigte der AG den gesamten Auftrag und forderte Schadensersatz für angeblich durch die Drittbeauftragung eines anderen Unternehmens entstandenen Ersatzvornahmekosten in Höhe von EUR 80.000.
Das LG weist die Klage als unbegründet ab. Ein Anspruch auf Schadensersatz der durch Beauftragung eines anderen Unternehmens entstandenen Kosten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 5 Abs. 3, 4 VOB/B bestehe nicht, weil zwischen den Parteien kein Bauvertrag zustande gekommen sei. Im Zeitpunkt, in dem der AG durch Zuschlagserteilung einen Vertragsschluss mit A habe herbeiführen wollen, sei das Angebot des A bereits gemäß §§ 146, 147 Abs. 2 BGB erloschen gewesen; denn die vom AG vorgegebene Zuschlags- und Bindefrist von 84 Tagen habe gegen § 10 Abs. 6 VOB/A verstoßen. Danach solle die Zuschlagsfrist so kurz wie möglich bemessen und nicht länger sein, als der AG für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote benötige. Eine längere Zuschlagsfrist als 30 Kalendertage solle nur in begründeten Ausnahmefällen festgelegt werden. Die Erwägung des AG, dass wegen der Größe des Bauvorhabens und der Einteilung in 19 Gewerke die Anforderungen an die Prüfung der Angebote zu hoch gewesen seien, um die Regelfrist von 30 Tagen einzuhalten, greife nicht durch. Denn dabei sei zu bedenken, dass die 30-Tages-Frist des § 10 Abs. 6 VOB/A mithin schon gewählt werde für Bauvorhaben, die einen nicht unerheblichen Umfang erreichten.
Weiterhin sei es Aufgabe des AG, das für die Prüfung und Wertung der Angebote erforderliche Personal zur Verfügung zu stellen. Der AG sei verpflichtet, über genügend eigenes oder fremd beauftragtes Personal zu verfügen, um die zu erwartenden Angebote zügig prüfen zu können. Sei dies nicht der Fall, würde dies durch § 10 Abs. 6 VOB/A nicht gedeckt. Auch die vom AG angeführte strikte Einhaltung der Baukostenobergrenze und der wegen haushaltsrechtlicher Vorgaben einzuhaltenden Prüfungsschritte vermag eine Überschreitung der Regelfrist nicht zu rechtfertigen; somit liege ein Verstoß gegen § 10 Abs. 6 VOB/A vor. Zwar sei die VOB/A keine Rechtsnorm, die unmittelbare Rechtswirkungen habe. Mittelbare Rechtswirkungen könne die VOB/A jedoch begründen, wenn sie zur Grundlage einer Ausschreibung gemacht werde, insbesondere im Hinblick auf die Grundsätze von Treu und Glauben.
Ein öffentlicher Auftraggeber, der eine längere als die nach § 10 Abs. 6 VOB/A vorgesehene Bindefrist fordere, setze sich entgegen der Grundsätze von Treu und Glauben zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, sofern keine die längere Frist tragenden besonderen Gründe vorlägen (BGH, Urteil vom 21.11.1991, VII ZR 203/90). Mache der AG die VOB/A zur Grundlage seiner Ausschreibung, so erkläre er zugleich, sich auch selbst daran halten zu wollen. Im Falle eines Verstoßes gegen § 10 Abs. 6 VOB/A sei es ihm deshalb verwehrt, sich auf die Position, die er aus dem Verstoß gegen Treu und Glauben erworben habe, zu berufen. Dementsprechend könne er, wenn er ohne rechtfertigenden Grund eine überlange Bindefrist bestimmt habe, ein im Ausschreibungsverfahren erhaltenes Angebot dann nicht mehr annehmen, wenn zum Zeitpunkt der Annahme von einem Erlöschen des Angebots nach § 147 Abs. 2 BGB auszugehen sei. Da damit kein Vertrag zustande gekommen sei, sei auch ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Kosten, die durch die Beauftragung eines anderen Unternehmens entstanden seien, nicht gegeben.
RA Michael Werner
Partner in der Kanzlei ZIRNGIBL LANGWIESER Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
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Anmerkung: Wie die Entscheidung zeigt, ist der öffentliche Auftraggeber regelmäßig verpflichtet, die Zuschlags- und Bindefrist von 30 Tagen gemäß § 10 Abs. 6 VOB/A (§ 10 Abs. 1 Nr. 10 EG-VOB/A) einzuhalten. Nach Ablauf dieser Frist ist das Angebot gemäß § 147 Abs. 2 BGB erloschen bzw. nicht mehr existent.
Im Falle, dass der Auftraggeber erkennt, dass die 30-tägige Bindefrist nicht ausreichen wird, hat er folgende Möglichkeiten: • Der Auftraggeber ist verpflichtet, für die Prüfung und Wertung der Angebote das erforderliche Personal (eigenes oder fremdbeauftragtes) zur Verfügung zu haben. Ist für den Auftraggeber erkennbar, dass sich z.B. durch eine nicht erwartete hohe Anzahl von eingegangenen Angeboten der Prüfaufwand erheblich erhöhen wird, sollte er den Eröffnungstermin verschieben, um die notwendigen personellen Kapazitäten aufbauen zu können. Denn die Zuschlags- und Bindefrist beginnt erst mit dem Eröffnungstermin (§ 10 Abs. 5 VOB/A).
• § 10 Abs. 6 Satz 2 VOB/A lässt eine längere Zuschlags- und Bindefrist als 30 Kalendertage zu, wobei sich diese Möglichkeit aber nur auf begründete Fälle bezieht. Der Auftraggeber muss in diesem Falle im Vergabevermerk sorgfältig und in sachlich ausreichender Weise darstellen, aus welchen besonderen Gründen die Zuschlagsfrist über die 30 Kalendertage verlängert werden muss. Wie die o.g. Entscheidung zeigt, sind dabei allein der erhebliche Umfang des Bauvorhabens oder die zwingende Einhaltung verbindlich vorgegebener Baukostenobergrenzen oder haushaltsrechtlicher Vorgaben hierfür nicht ausreichend. Im Streitfall muss der AG die besonderen Gründe, die die Überschreitung der Regelfrist rechtfertigen sollen, substantiiert vortragen und auch beweisen können (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.07.1999 – 12 U 91/98). |