von RA Michael Werner
Die Vergabekammer(VK) des Bundes hat mit Beschluss vom 07.09.2020 – VK 1-68/20 – folgendes entschieden:
• Nebenangebote können vom öffentlichen Auftraggeber gem. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 VOB/A in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung zugelassen oder vorgeschrieben werden. Fehlt eine entsprechende Angabe, sind Nebenangebote gem. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 VOB/A nicht zugelassen.
• Nebenangebote können nicht nachträglich zugelassen werden, selbst dann, wenn dadurch keine nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb zu befürchten wären.
• Sind die Vergabeunterlagen in Bezug auf die (Nicht-)Zulassung von Nebenangeboten widersprüchlich und aus Bietersicht nicht eindeutig so zu verstehen, dass nur Hauptangebote eingereicht werden durften, ist das Vergabeverfahren bei fortbestehender Vergabeabsicht zurückzuversetzen.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Vergabe von Instandsetzungsarbeiten an einem Schiebetor einer Schleusenanlage europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Laut der EU-Bekanntmachung waren Nebenangebote nicht zugelassen. In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes waren jedoch umfangreiche Hinweise zu den Mindestanforde-rungen von Nebenangeboten enthalten. Sowohl in der Baubeschreibung als auch in der Antwort auf eine Bieterfrage machte der AG Angaben, welche Leistungen in Form eines Nebenangebotes abgegeben werden könnten. Bieter A gab darauf ein Haupt- und ein Nebenangebot ab. Der AG teilte ihm darauf mit, dass auf sein Nebenangebot der Zuschlag erteilt werden solle. Auf die Rüge des konkurrierenden Bieters B informierte der AG dann den Bieter A, dass sein Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da Nebenangebote nicht zulässig seien; der Zuschlag solle daher auf das Angebot des Bieters B erteilt werden. Dagegen stellte A Antrag auf Nachprüfung mit dem Ziel, den Zuschlag an B zu untersagen und Nebenangebote zuzulassen.
Die VK gibt hier teilweise dem Bieter A Recht. Der AG darf den Zuschlag nicht an B erteilen; das Vergabeverfahren muss aber in den Stand vor Abgabe der Hauptangebote zurückversetzt werden. Nebenangebote seien hier nach der EU- Bekanntmachung nicht zugelassen gewesen. Grundsätzlich gelte, dass Nebenangebote vom AG gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 1 VOB/A in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung zugelassen oder vorgeschrieben werden könnten. Fehle eine entsprechende Angabe, seien Nebenangebote gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A nicht zugelassen. Nach § 16 EU Nr. 5, 1. Alt. VOB/A seien nicht zugelassene Nebenangebote auszuschließen bzw. dürfe der Zuschlag nicht auf sie ergehen. Die im vorliegenden Verfahren abgegebenen Nebenangebote dürften - nachdem in der EU- Bekanntmachung Nebenangebote nicht zugelassen waren - nicht in die Wertung einbezogen werden und seien auszuschließen. Wenn Bieter A meine, die nachträgliche Zulassung von Nebenangeboten hätte unter Einhaltung der Gebote von Gleichbehandlung und Transparenz keine nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb und sei daher im laufenden Vergabeverfahren ohne Korrektur der EU-Bekanntmachung statthaft, spreche schon der eindeutige Wortlaut der anzuwendenden Norm (§ 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A) dagegen. Nach der Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, 28.01.2015 – Verg 31/14) sei im Vergabeverfahren in jedem Fall das Gebot der Gleichbehandlung der Bieter und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Transparenz zu beachten. Hieraus folge, dass die Vergabeunterlagen alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, genau und eindeutig enthalten müssten. Nur dann sei gewährleistet, dass die Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen hätten und bei Anwendung der üblichen Sorgfalt deren genaue Bedeutung verstehen und in gleicher Weise auslegen könnten. Zu den vom AG einzuhaltenden Bedingungen des Vergabeverfahrens gehöre jedenfalls auch die vergaberechtliche Regelung des § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A zur EU-weiten Bekanntmachung der Zulassung von Nebenangeboten.
Allerdings dürfe hier auch kein Zuschlag auf ein eingereichtes Hauptangebot (z.B. des B) ergehen. Die bloße Nichtberücksichtigung von eingereichten Nebenangeboten im Rahmen der Wertung sei vergaberechtswidrig. Die Vergabeunterlagen seien widersprüchlich und aus Bietersicht jedenfalls nicht eindeutig so zu verstehen, dass nur Hauptangebote eingereicht werden dürften. Dies ergebe sich zunächst aus den Angaben in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots. Dort seien Nebenangebote zwar zugelassen gewesen, allerdings wären Mindestanforderungen nicht beigefügt. Des Weiteren gebe es eine Baubeschreibung mit dem Hinweis auf ein mögliches Nebenangebot sowie die Antwort auf eine Bieterfrage, die ebenfalls dafür sprächen, dass der AG Nebenangebote zulassen wollte. Die vorgenannten Umstände seien geeignet, die Bieter - trotz gegenteiliger Angabe in der Bekanntmachung - zu der Annahme zu verleiten, dass Nebenangebote dennoch zugelassen seien. Hierfür spreche auch, dass tatsächlich die Hälfte der Bieter ein zusätzliches Nebenangebot eingereicht hätten.
Würden aber Hauptangebote in der Annahme erstellt, Nebenangebote seien zugelassen, könne im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass die Zulassung eines Nebenangebots auf die Erstellung des Hauptangebotes Einfluss ausgeübt habe. Von einer gegenseitigen Beeinflussung beider Angebote sei bereits aus grundsätzlichen Erwägungen auszugehen, weil die Möglichkeit, Nebenangebote einzureichen, Bietern einen auf mehrere Angebote gestützten Wettbewerbsbeitrag eröffne, der typischerweise aufeinander abgestimmt werde. Es ist demnach davon auszugehen, dass jedenfalls Bieter A sein Hauptangebot mit Blick auf das vermeintlich zulässige Nebenangebot ausgearbeitet und kalkuliert habe. Der Rechtsverstoß könne nur dadurch beseitigt werden, indem das Verfahren mindestens in den Stand vor Abgabe der Hauptangebote zurückversetzt werde. Hierbei seien die Bieter ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Nebenangebote nicht zugelassen seien. Sollte der AG darüber hinaus an der Abgabe von Nebenangeboten Interesse haben, müsse er das Verfahren in den Stand vor der Bekanntmachung zurückversetzen.
Anmerkung: Wie die Entscheidung zeigt, ist bei der Frage, ob Nebenangebote zugelassen sind oder nicht, im Zweifel stets der Inhalt der Bekanntmachung entscheidend. Daraus folgt: es ist aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers in der Vergabepraxis extrem wichtig, sorgfältig darauf zu achten, dass sich aus der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen keine Widersprüche ergeben. Denn sind solche feststellbar, führt in aller Regel an einer Zurückversetzung des Verfahrens kein Weg vorbei. |