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Zur Zulässigkeit von langen Bindefristen

20.12.2022

Die Vergabekammer (VK) Südbayern hat mit Beschluss vom 05.08.2022 – 3194.Z3-3_01-22-29 – u.a. folgendes entschieden:

1. Die Bestimmung der angemessenen Bindefrist gemäß § 10a EU Abs. 8 Satz 1 VOB/A liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers. Dieses Ermessen hat er danach auszurichten, dass die Bindefrist so kurz wie möglich sein und nicht länger bemessen werden soll, als der öffentliche Auftraggeber für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote benötigt.

2. Besondere Bedingungen der internen Willensbildung einer Gemeinde können zwar eine längere Bindefrist rechtfertigen. Jedoch sind Bindefristen, die die Regelfrist von 60 Kalendertagen gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A übersteigen, nur ganz ausnahmsweise mit besonderer Begründung zulässig. Auch in sehr großen Kommunen mit aufwändigen internen Abläufen zur internen Willensbildung dürfen sehr lange Bindefristen (hier: 138 Tage) nicht zum Regelfall werden.

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RA Michael Werner

Eine süddeutsche Großstadt hatte als öffentlicher Auftraggeber (AG) einen Bauauftrag über Holzbauarbeiten im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben und in der Bekanntmachung die Bindefrist der Angebote auf 138 Kalendertage festgelegt. Auf die Frage eines Bieters A, warum die regelmäßige Frist des § 10a EU Abs. 8 VOB/A derartig überschritten würde, antwortete der AG, eine Verlängerung sei anerkannt, wenn der Beschlussturnus einer Kommune keine schnellere Vergabeentscheidung zulasse. Hier könne die Vergabe-entscheidung vom zuständigen kommunalen Gremium nicht früher getroffen werden. Auf die entsprechende Rüge des A führte der AG aus, dass die Art und Weise der internen Willensbildung und die Beteiligung von ehrenamtlich tätigen Mitgliedern in den Beschlussorganen eine längere Bindefrist rechtfertigten. Bei Baumaßnahmen mit Gesamtkosten über 1 Mio. Euro sei gemäß den städtischen Hochbaurichtlinien auch eine gesonderte Überprüfung nötig. Für die Erstellung der Beschlussvorlage würden wenigstens 10 Wochen benötigt. Hinzu käme eine Vorlaufzeit von mindestens drei Wochen für die Stadtratsbefassung. Bieter A beantragte darauf Nachprüfung.

Die VK gibt Bieter A Recht. Der AG habe bei der Bestimmung der Bindefrist den ihm zustehenden Ermessensspielraum überschritten, indem er die Interessen der Bieter an einer möglichst kurzen Beschränkung ihrer Dispositionsfreiheit nicht hinreichend berücksichtigt habe. A sei hierdurch in seinen Rechten verletzt, da er einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Länge der Bindefrist habe.

Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 1 VOB/A bestimme der öffentliche Auftraggeber eine angemessene Frist, innerhalb der die Bieter an ihre Angebote gebunden seien (Bindefrist). Die Bestimmung der Bindefrist liege im pflichtgemäßen Ermessen des AGs. Sein Ermessen habe der AG gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 2 VOB/A danach auszurichten, dass die Bindefrist so kurz wie möglich sein und nicht länger bemessen werden solle, als der AG für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote gem. §§ 16 bis 16d EU VOB/A benötige. Gemäß § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A betrage die Bindefrist regelmäßig 60 Kalendertage, d.h. es werde (widerleglich) vermutet, dass der öffentliche AG bei EU-weiten Verfahren diesen Zeitraum für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote benötige. Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 4 VOB/A könne der AG zwar in begründeten Fällen eine längere Frist festlegen.

Sein Ermessen bleibe jedoch auch in diesem Fall an die Vorgabe des § 10a EU Abs. 8 Satz 2 VOB/A gebunden.

Was taugliche Gründe für eine längere Bindefrist als die Regelfrist seien, lasse sich aus § 10a EU Abs. 8 VOB/A nicht entnehmen. Die Rechtsprechung habe zwar die besonderen Bedingungen der internen Willensbildung einer Gemeinde als mögliche Rechtfertigung für eine längere Bindefrist anerkannt. Dies bedeute aber nicht, dass kommunale Auftraggeber wegen ihrer organisatorischen Bedingungen die Regelfrist ohne weiteres überschreiten dürften. Auch insoweit bedürfe es jeweils einer auf die Umstände des Einzelfalls gerichteten Betrachtung. Hierbei sei zugunsten der Bieter zu berücksichtigen, dass diese während der Bindefrist in ihren geschäftlichen Entschlüssen und Dispositionen, insbesondere hinsichtlich der Bewerbung um andere Aufträge und der Finanzierung weiterer Aufträge, erheblich eingeschränkt seien.

Die VK verkenne auch nicht, dass es sich beim AG um eine der größten Gemeinden Deutschlands handele und die Bedingungen der internen Willensbildung dementsprechend komplex und nicht mit jenen einer durchschnittlichen Kommune vergleichbar seien. Zudem sei anzuerkennen, dass der Entschluss des AG, eine Kostenüberprüfung bei Hochbauprojekten ab einem Umfang von 1 Mio. Euro vorzunehmen, seinem kommunalen Selbstverwaltungsrecht entstamme. Die Abstimmungserfordernisse innerhalb der Verwaltung des AG und die notwendige Befassung seiner kommunalen Gremien erlaubten ihm jedoch nicht, die Bindefrist im Regelfall und grenzenlos weit oberhalb der Regelfrist des § 10a EU Abs. 8 Satz VOB/A zu bestimmen.

Vielmehr müsse der AG bei der Planung seiner Abläufe und seiner Gremienbefassung beachten, dass es sich bei den Bestimmungen über die Bindefrist in § 10a EU Abs. 8 VOB/A aufgrund des Verweises in § 2 Satz 2 VgV um unmittelbar geltendes Bundesrecht handele. An diesem müsse sich der AG bei der Planung seiner internen Abläufe orientieren. Die Regelfrist des § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A sei daher auch für eine Kommune von der Größe des AG nicht von vornherein bedeutungslos.

Anmerkung:

Speziell bei der Festlegung der Bindefrist verweisen öffentliche Verwaltungen gerne auf interne Sachzwänge, die regelmäßig aus den Sitzungskalendern der beteiligten Gremien resultieren. Wie die Entscheidung zeigt, hat die Rechtsprechung dafür nur sehr begrenztes Verständnis. Daneben ist festzustellen, dass überlange Bindefristen gerade in Zeiten von explodierenden Baustoffpreisen für Bieter eine extreme Belastung darstellen – gerade auch, wenn Preiserhöhungen für Baustoffe nur teilweise über Preisgleitklauseln abgefangen werden können. Für Auftraggeber gilt es des Weiteren zu beachten, dass ein Zuschlag nach Ablauf der in der VOB/A vorgesehenen Bindefrist regelmäßig nicht mehr zum Vertragsschluss führen kann, falls der Bieter nicht vorab in eine Verlängerung der Frist eingewilligt hat (siehe z.B. BGH, Beschluss vom 07.11.2018 - VII ZR 276/16).

  Quelle: RA Michael Werner


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