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Zur Aufhebung wegen falscher Wahl der Verfahrensart

05.07.2022

 

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 02.03.2022 – VK1-13/22 – folgendes entschieden:

Legt der Auftraggeber bei Einleitung des Vergabeverfahrens das Verhandlungsverfahren als Vergabeverfahrensart in der Bekanntmachung fest, obwohl er eigentlich ein nicht-offenes Verfahren mit Teilnahmewettbewerb durchführen wollte, liegt ein vermeidbarer Fehler aus der eigenen Sphäre vor, der den Auftraggeber nicht zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigt.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Vergabe von zivil - rechtlichen Bewachungsleistungen im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Im Verlauf des Verfahrens wurden verschiedene Berichtigungen der Bekanntmachung durch den AG vorgenommen, die die Vertragslaufzeit und die Zuschlagskriterien betrafen. Die gewählte Verfahrensart wurde nicht abgeändert. In der Aufforderung zur Abgabe eines Teilnahmeantrages wurde jedoch als Verfahrensart das nicht-offene Verfahren mit Teilnahmewettbewerb angegeben, ebenso wie in der Aufforderung zur Angebotsabgabe. In der Angebotsaufforderung war zudem angegeben, dass keine Verhandlungen vorgesehen seien. Bieter A gab ein Angebot ab und erhielt darauf die Mitteilung, dass sein Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei. A rügte darauf die Angebotswertung, worauf ihm der AG mitteilte, der Rüge abhelfen und das Verfahren aufheben zu wollen. Die Aufhebungsabsicht rügte A wiederum. Dieser Rüge half der AG nicht ab und hob das Verfahren mit Verweis auf die fehlerhafte Bekanntmachung auf. A beantragte darauf die Nachprüfung durch die VK.
Die VK gibt hier Bieter A Recht, da der AG die Ausschreibung aufgehoben habe, ohne dass die materiellen Voraussetzungen für den von ihr herangezogenen Aufhebungsgrund (hier gemäß § 37 Abs. 1 VSVgV bzw. § 63 VgV) nachgewiesen seien. Die Aufhebung sei insoweit rechtswidrig.
Es liege kein Aufhebungsgrund gem. § 37 Abs. 1 Nr. 4 VSVgV (bzw. § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV) vor. Danach könne ein Vergabeverfahren aufgehoben werden, wenn andere schwerwiegende Gründe bestünden. Bei der Prüfung eines zur Aufhebung berechtigenden schwerwiegenden Grundes seien, da es sich um einen Auffangtatbestand handele, jedoch strenge Maßstäbe anzulegen. Berücksichtigungsfähig seien grundsätzlich nur Mängel, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschlössen, wie etwa das Fehlen der Bereitstellung öffentlicher Mittel durch den Haushaltsgesetzgeber. Ein zur Aufhebung der Ausschreibung Anlass gebendes Fehlverhalten der Vergabestelle könne danach schon deshalb nicht ohne weiteres genügen, weil diese es andernfalls in der Hand hätte, nach freier Entscheidung durch Verstöße gegen das Vergaberecht den bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestehenden Bindungen zu entgehen (siehe BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13). Eine Aufhebung könne daher nur rechtmäßig erfolgen, wenn der Aufhebungsgrund nicht vom Auftraggeber selbst schuldhaft herbeigeführt worden sei (vgl. OLG München, Beschluss vom 28. August 2012, Verg 11/12). Der Auftraggeber habe eine Aufhebung zu vertreten, wenn er bei Einleitung des Vergabeverfahrens den Aufhebungsgrund kannte oder habe kennen können.
Hier habe der AG bei Einleitung des Vergabeverfahrens das Verhandlungsverfahren als Vergabeverfahrensart in der EU-Bekanntmachung festgelegt, obwohl er eigentlich ein nicht-offenes Verfahren mit Teilnahmewettbewerb beabsichtigte und dies später in den Vergabeunterlagen den teilnehmenden Bieter auch so kommuniziert habe. Bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt wäre der Fehler für den AG vermeidbar gewesen. Die fehlerhafte Bekanntmachung stamme aus der Sphäre des AG; er habe den Aufhebungsgrund zu vertreten. Eine rechtmäßige Aufhebung aufgrund eines anderen schwerwiegenden Grundes nach § 37 Abs. 1 Nr. 4 VSVgV (bzw. 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV) sei damit nicht möglich.
Der Bieter A sei durch die rechtswidrige Aufhebung des Vergabeverfahrens auch in seinen Rechten verletzt, weil er sich mit einem Angebot an einem Verhandlungsverfahren beteiligt habe, das nach der Aufhebung gegenstandslos sei. A könnten dabei Aufwendungen für die Erstellung des Angebots und die Teilnahme an dem aufgehobenen Vergabeverfahren entstanden sein (sog. negatives Interesse).

Anmerkung:

Grundsätzlich kann ein Auftraggeber ein Vergabeverfahren immer aufheben, da er rechtlich nicht gezwungen ist, den Auftrag tatsächlich zu vergeben bzw. mit einem Bieter einen Vertrag abzuschließen (kein Kontrahierungszwang!). Die Frage ist dabei nur, ob sich der AG auf einen der Aufhebungsgründe gemäß § 63 Abs. 1 VgV bzw. § 17 EU VOB/A berufen kann oder nicht. Kann er sich auf einen der genannten Aufhebungsgründe berufen, stellt dies eine rechtmäßige Aufhebung dar, d.h. die Aufhebung begründet keine Schadensersatzansprüche seitens der Bieter.
Kann er sich auf einen der genannten Gründe – wie hier wegen seines eigenen Fehlverhaltens - nicht berufen, ist die Aufhebung zwar wirksam, aber rechtswidrig – mit der Folge, dass den Bietern ein Schadensersatzanspruch zusteht, in aller Regel in Höhe des sog. negativen Interesses, d.h. für deren Aufwendungen zur Erstellung des Angebotes.

  Quelle: RA Michael Werner


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