Die Vergabekammer (VK) des Bundes hat mit Beschluss vom 26.07.2022 – VK 1-65/22 – u.a. folgendes entschieden:
1. Die Mitwirkung eines Unternehmens an der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens führt nicht per se dazu, dass dieses Unternehmen nicht am späteren Vergabeverfahren teilnehmen darf. Ein Grund, dieses Unternehmen auszuschließen, besteht erst dann, wenn aus dieser vorherigen Einbeziehung eine Wettbewerbsverzerrung resultiert.
2. Es gibt keine unwiderlegbare Vermutung dafür, dass miteinander verbundene Unternehmen nicht eigenständig und wettbewerblich voneinander unabhängig agieren können.
RA Michael Werner
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte verschiedene IT-Dienstleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben; dadurch sollte sein gesamtes Informationswesen vereinheitlicht und harmonisiert werden. Bei der Vorbereitung dieses Vergabeverfahrens wurde der AG von mehreren Unternehmen unterstützt. Eines dieser Unternehmen, die Fa. X, kündigte noch in der Phase der Vorbereitung der Vergabeunterlagen an, dass es von einem potenziellen späteren Bieter B am 01.10.2021 übernommen werden solle. Das Unternehmen X versprach dem AG die Einrichtung einer sog. „Chinese Wall“ zur Sicherstellung, dass die Mitarbeiter des übernehmenden Unternehmens B keine Informationen aus der Vorbereitung erhalten würden. Noch vor Veröffentlichung der europaweiten Bekanntmachung wurde die Zusammenarbeit zwischen dem AG und dem Beratungsunternehmen X beendet. B gab darauf – neben weiteren Unternehmen – ebenso wie Bieter A ein Angebot ab; nach Angebotswertung sollte Bieter B den Zuschlag erhalten. Bieter A rügte darauf das Verfahren mit dem Argument, dass B als vorbefasstes Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB ausgeschlossen werden müsse. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte er Nachprüfung.
Die VK gibt dem AG Recht. Bieter B könne nicht gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. B selbst wäre in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens nicht einbezogen worden, sondern das von ihm übernommene Beratungsunternehmen X. Doch selbst wenn man B und das übernommene Unternehmen X insoweit als "ein" Unternehmen betrachten würde, seien die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB auch im Falle einer solchen "mittelbaren Vorbefasstheit" deshalb nicht erfüllt, weil hier aus der Einbeziehung des Unternehmens X in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens bereits keine Wettbewerbsverzerrung resultiere.
Wie bereits der Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB zeige, führe allein die Mitwirkung eines Unternehmens an der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens nicht per se dazu, dass dieses Unternehmen nicht am späteren Vergabeverfahren teilnehmen dürfe. Ein (noch dazu nicht zwingender, sondern im Ermessen des Auftraggebers stehender) Grund, dieses Unternehmen auszuschließen, bestehe erst dann, wenn aus dieser vorherigen Einbeziehung eine Wettbewerbsverzerrung resultiere. Auch sonst gebe es keine unwiderlegbare Vermutung dafür, dass miteinander verbundene Unternehmen nicht eigenständig und wettbewerblich voneinander unabhängig agieren könnten. Eine solche Wettbewerbsverzerrung, die insbesondere aus der Weitergabe vergaberelevanter Informationen, also in Gestalt eines Wissensvorsprungs, oder der Beeinflussung der Vergabeunterlagen zugunsten des B in inhaltlicher Hinsicht beruhen könnte, könne hier nicht festgestellt werden.
Zwar sei das Beratungsunternehmen X umfassend an der Erstellung der Vergabeunterlagen, u.a. der Leistungsbeschreibung, des Kriterienkatalogs und begleitender Unterlagen beteiligt gewesen. Seine Tätigkeit für den AG habe jedoch am 30.09.2021 geendet, also zu einem Zeitpunkt, als die Vergabeunterlagen noch nicht endgültig fertiggestellt gewesen seien (die EU-Bekanntmachung mit entsprechendem Link auf die Vergabeunterlagen sei erst am 03.12.2021 erfolgt). Selbst wenn, hätte die X dem B also lediglich einen vorläufigen Stand der Vergabeunterlagen mitteilen können. Dass dies erfolgt sei, sei bereits deshalb zweifelhaft, weil sich X in diesem Fall gegenüber dem AG vertragswidrig verhalten hätte. Abgesehen davon, dass fraglich sei, ob und inwieweit die Information über einen vorläufigen Stand der Vergabeunterlagen einem späteren Bieter einen Wettbewerbsvorteil vor den anderen Bietern bringe, sei der endgültige Erwerb der X durch B erst zur selben Zeit erfolgt als X ihre Mitarbeit am Vergabeverfahren bereits beendet habe (zum 30.09.2021).
Der einzige Wettbewerbsvorteil des B durch die Übernahme der X - eine rechtswidrige Weitergabe ausschreibungsrelevanter Informationen durch die X entgegen entsprechenden Anhaltspunkten unterstellt - könnte in zeitlicher Hinsicht bestehen, wenn B die Vergabeunterlagen, allerdings nicht in endgültiger Fassung, früher gekannt hätte als die übrigen Bieter. Solche etwaigen Zeitvorteile habe der AG jedoch durch eine angemessene Verlängerung der Angebotsfrist von 30 auf 67 Tage ausgeglichen. Dass und warum dieser Zeitraum zu kurz gewesen sein sollte, sei nicht ersichtlich, und auch von A nicht vorgetragen worden. Anders als A andeute, habe der AG nicht vergaberechtswidrig gehandelt, als er die verlängerte Angebotsfrist allen Bietern, also auch dem B, gewährt habe. Eine kürzere Frist für B hätte dagegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt, besteht im Gegensatz zur Vorstellung vieler Bieter, insbesondere im Bereich von Architekten- und Ingenieurbüros, keineswegs ein Automatismus, nach dem ein vorbefasstes Unternehmen (vulgo: Projektant) stets auszuschließen wäre. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB hat der Auftraggeber vielmehr alles zu unternehmen, um einen evtl. festgestellten Wissensvorsprung auszugleichen. Erst wenn er zu der Überzeugung gelangt, dass nach wie vor ein eventueller Wissensvorsprung des Projektanten bestehen könnte, hat er darüber zu entscheiden, dieses Unternehmen vom Verfahren auszuschließen, wobei er für diese Entscheidung einen Ermessensspielraum hat, den er – entsprechend dokumentiert – auch tatsächlich auszufüllen hat. |