Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 22.06.2022 – Verg 36/21 – u.a. folgendes entschieden:
1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird.
2. Der Begriff "Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit" umfasst jedes fehlerhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Glaubwürdigkeit des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers hat.
3. Eine Form beruflichen Fehlverhaltens stellt die Verletzung von Wettbewerbsregeln oder Rechten des geistigen Eigentums dar, weshalb die Verletzung eines fremden gewerblichen Schutzrechts wie eines Patentrechts eine schwere berufliche Verfehlung darstellen kann.
RA Michael Werner
Der Bund als Auftraggeber (AG) hatte mit Bekanntmachung vom 21.04.2017 einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Sturmgewehren für die Bundeswehr im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Nach langwierigen Verhandlungen schloss der AG den Bieter A wegen der Verletzung von Patenten des Bieters B nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB (schwere Verfehlung) aus und kündigte an, den Zuschlag an Bieter B zu erteilen. A rügte darauf seinen Ausschluss und machte geltend, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter B u.a. wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsrecht (Waffenlieferungen nach Mexiko in den Jahren 2006 bis 2009 aufgrund einer erschlichenen Genehmigung) gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB auszuschließen sei. Die erstinstanzliche Vergabekammer (VK) wies den Nachprüfungsantrag des A als unbegründet zurück, da sich nach deren Auffassung B hinsichtlich der Waffenlieferungen nach Mexiko auf eine erfolgreiche Selbstreinigung habe berufen können. A erhob darauf sofortige Beschwerde zum OLG.
Das OLG gibt dem AG Recht. Dessen Entscheidung, den Bieter A nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren auszuschließen, sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Ein Ausschluss des B nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB sei dagegen nicht veranlasst.
Nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB könnten öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens.....- siehe oben Tenor Nr. 1 und 2.
Es handele sich bei § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB um einen Auffangtatbestand, der dann in Betracht komme, wenn hinsichtlich einer nach § 123 GWB zu einem zwingenden Ausschluss führenden Straftat noch keine rechtskräftige Verurteilung vorliege. Schwer sei die Verfehlung dann, wenn dem Wirtschaftsteilnehmer Vorsatz oder Fahrlässigkeit von gewisser Schwere anzulasten sei. Die Feststellung einer "schweren Verfehlung" erfordere darüber hinaus grundsätzlich eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung der Verhaltensweise des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers. Die berufliche Verfehlung bedürfe folglich eines nicht unerheblichen Gewichts. Dabei müsse die Verletzung eine solche Intensität und Schwere aufweisen, dass der AG berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln dürfe. Dies sei hier der Fall, da das Waffenverschlusssystem des von A angebotenen Sturmgewehrs X.1 das Europäischen Patent EP 2 018 508 B 1 des Bieters B nachgewiesenermaßen verletze.
Entgegen dem Vorbringen des A war der AG jedoch nicht verpflichtet, den Bieter B nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz in Gestalt der Waffenlieferungen nach Mexiko in Jahren 2006 bis 2009 aufgrund einer erschlichenen Genehmigung auszuschließen.
Nicht gefolgt werden könne dem AG darin, dass B eine Selbstreinigung nach § 125 Abs. 1 GWB gelungen sei. Nach § 125 Abs. 1 GWB schlössen öffentliche AG ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund nach § 123 oder § 124 GWB vorliege, nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren aus, wenn das Unternehmen dem AG (oder nach § 8 des Wettbewerbsregistergesetzes dem Bundeskartellamt) nachgewiesen habe, dass es für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet habe, die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stünden, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen AG umfassend geklärt habe und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen habe, die geeignet seien, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt.
Eine Selbstreinigung des B nach § 125 GWB scheitere allerdings nicht daran, dass er keinen Ausgleich für entstandenen Schaden geleistet habe. Es bedurfte vorliegend keines Schadensausgleichs, da nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nur der durch die Straftat verursachte Schaden auszugleichen sei. Die Voraussetzung eines Schadensausgleichs greife folglich nur, wenn der betroffene Ausschlussgrund einen ausgleichungsfähigen materiellen Schaden verursacht habe. Sei das aber wie hier nicht der Fall, falle § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB als Maßnahme der Selbstreinigung aus. Problematisch sei allerdings, dass der AG hier allein die Eigenerklärung des B für den Nachweis der Voraussetzungen des § 125 GWB für ausreichend erachtet habe. Den Nachweis einer erfolgreichen Selbstreinigung habe nach dem Wortlaut des § 125 Abs. 1 GWB das betroffene Unternehmen zu führen. Dabei habe der AG die durchgeführten Maßnahmen der Selbstreinigung in gleicher Weise zu prüfen wie den Ausschluss selbst. Bloße Erklärungen des betroffenen Unternehmens, die Voraussetzungen für eine Selbstreinigung erfüllt zu haben, könnten hierfür nicht ausreichend sein, weil ihre Richtigkeit ohne weitere Nachweise nicht überprüft werden könne.
Ein Ausschluss des B scheitere allerdings an § 126 GWB. Nach § 126 Nr. 2 GWB könne ein Unternehmen bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 GWB höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis ausgeschlossen werden. Mit dem Ereignis sei das in den jeweiligen Ausschlussgründen umschriebene "Fehlverhalten" gemeint. Es hänge vom jeweiligen Ausschlussgrund ab, auf welches "betreffende Ereignis" abzustellen sei. Bei Vorliegen einer schweren Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB beginne die Ausschlussfrist mit Begehung der Tat, aber nicht vor ihrer Beendigung. Ausgehend vom Ende des Tatzeitraums im Jahr 2009 sei hier die Frist für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 3 GWB demnach bereits 2012 abgelaufen.
Anmerkung: Die Entscheidung, die in den Medien erhebliches Aufsehen erregt hat, ist vergaberechtlich deshalb besonders relevant, weil das OLG sowohl wesentliche Aussagen zum Vorliegen einer schweren Verfehlung (gem. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB) als auch zu den Voraussetzungen einer wirksamen Selbstreinigung (gem. § 124 GWB) trifft. |