zurück

Wertungsentscheidung durch ein Auswahlgremium?

19.07.2022

 

Die Vergabekammer (VK) Berlin hat mit Beschluss vom 14.03.2022 – VK B 2-40/21 – u.a. folgendes entschieden:


1. Der Auftraggeber ist zwar nicht gehindert, sich bei der Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens ganz oder teilweise der Hilfe Dritter zu bedienen, die über einen qualifizierten Sachverstand verfügen. Nicht zulässig ist es dagegen, die Verantwortung für die Vergabe an Dritte vollständig zu übertragen.
2. Die Vergabeakte muss erkennen lassen, dass die zu treffenden Entscheidungen von dem Auftraggeber selbst getroffen wurden und nicht etwa von einem mit der Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens beauftragten Ingenieurbüro oder sonstigen Sachverständigen oder Dritten.
3. Insbesondere im Rahmen einer Qualitätswertung von Konzepten muss der Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Bewertung eingegangen sind.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Offenen Verfahren einen sog. „Konzeptwettbewerb“ durchgeführt, um für ein innerstädtisches Grundstück ein Erbbaurecht an einen Investor zu gewähren. Gewertet wurden dabei ausschließlich die Qualität der Konzepte. Die Zuschlagskriterien bestanden aus 3 Themen, 8 Kriterien und 33 Unterkriterien. Die von den Bietern einzureichenden Konzepte wurden darauf von einer Jury bewertet, wobei sich der AG von mehreren Sachverständigen beraten ließ. Bieter A erhielt nach Wertung zwar die meisten Punkte, gleichwohl beabsichtigte der AG, den Zuschlag auf das Angebot des Bieters B zu erteilen. A stellte darauf nach erfolgloser Rüge Antrag auf Nachprüfung. Im Nachprüfungsverfahren stellte die VK fest, dass es nur eine kurze zusammengefasste Begründung in der Vergabeakte gab, die sich nicht konkret mit den Vor- und Nachteilen der beiden Konzepte auseinandersetzte. Der AG versuchte darauf, die Dokumentation zu heilen. Die Gremiumsmitglieder sollten nachträglich die vergebenen Punkte in Worte fassen. Aus den Verlautbarungen der Jurymitglieder erstellte der AG einen Entwurf, der in einer Videokonferenz von der Jury bestätigt wurde.


Die VK gibt Bieter A Recht. A sei durch die Auswahlentscheidung des AG, dem Bieter B den Zuschlag zu erteilen, in seinen Rechten verletzt. Die dokumentierte Angebotswertung verletze A in seinem Recht auf ein transparentes und willkürfreies Verfahren.
So sei bereits zweifelhaft, inwieweit der AG hier überhaupt eine eigene Wertungsentscheidung getroffen habe. Der AG sei zwar nicht gehindert, sich bei der Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens ganz oder teilweise der Hilfe Dritter zu bedienen, die über einen qualifizierten Sachverstand verfügten. Nicht zulässig sei es dagegen, die Verantwortung für die Vergabe an Dritte vollständig zu übertragen. Die Regelungen des Vergaberechts verpflichteten unmissverständlich den Auftraggeber selbst zu einer Wertungsentscheidung (§ 127 Abs. 1 S. 2 GWB: "eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers"; § 31 Abs. 3 KonzVgV: "Der Konzessionsgeber überprüft"). Die Vergabeakte müsse dementsprechend erkennen lassen, dass die zu treffenden Entscheidungen von dem Auftraggeber selbst getroffen würden und nicht etwa von einem mit der Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens beauftragten Ingenieurbüros oder sonstigen Sachverständigen oder Dritten.


Nach diesen Maßstäben sei sehr fraglich, ob der AG vorliegend die erforderliche eigene Wertungsentscheidung getroffen habe. So habe er sich etwa im Absageschreiben an A darauf bezogen, dass "sich das Auswahlgremium einstimmig [...] entschieden" habe. Auch der im Verfahren vorgelegte Vermerk des AG führe zu der Bewertung der Arbeiten nur unter der Überschrift "Bewertung durch das Auswahlgremium" aus. Besonders prägnant seien insofern allerdings die Ausführungen des AG im Nachprüfungsverfahren selbst, in dem er mit Schriftsatz seines Rechtsbeistandes ausgeführt habe: "Das Auswahlgremium hat eine Ermessensentscheidung getroffen, die nicht der gerichtlichen Überprüfung unterliegt und die vom AG auch nicht weiter zu begründen oder zu kommentieren ist". Dies deute im besonderen Maße darauf hin, dass sich der AG vorliegend möglicherweise überhaupt nicht bewusst gewesen sei, eine eigene Wertungsentscheidung treffen zu müssen. Bereits dies könne die Vergaberechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung begründen.


Des Weiteren fehle es auch bei der (nach-)dokumentierten Entscheidung des Auswahlgremiums an einer transparenten und willkürfreien Bewertung der Angebote des A und des B. Die Kammer lege insoweit die zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vorliegende Dokumentation, d.h. einschließlich der vom AG im Lauf des Verfahrens nachgereichten Dokumente, insbesondere des Vergabevermerks vom xx. Januar 2022 zugrunde.
Fehle es jedoch an einer hinreichenden Dokumentation im Vergabevermerk, so gehe dies zulasten des Auftraggebers. Denn die als Ausfluss des Transparenzprinzips niedergelegten Dokumentationspflichten dienten gerade der Überprüfbarkeit des diskriminierungsfreien Vorgehens des Auftraggebers. Bei fehlender oder unzureichender Dokumentation könne daher die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung nicht festgestellt werden.

Anmerkung:

Die Frage, ob der Auftraggeber die Angebotswertung einem Gremium oder generell Dritten überlassen kann, d.h. quasi „outsourcen“ kann, ist nach wie vor umstritten. Während einerseits vertreten wird, dass die Angebotsöffnung und Wertung durch seitens des AG ermächtigten Personen (z.B. Ingenieurbüros, Anwaltskanzleien, Berater etc.) durchgeführt werden kann (OLG Düsseldorf, 14.11.2018 – Verg 31/18), wird dies andererseits als eindeutig unzulässig beurteilt (VK Südbayern, 02.01.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17). Wie die Entscheidung der VK Berlin zeigt, und um hier auf „Nummer Sicher“ zu gehen, sei daher jedem Auftraggeber empfohlen, sowohl die Angebotsöffnung als auch die Wertung nur durch eigene Mitarbeiter und nicht ausschließlich durch Dritte durchzuführen zu lassen. Des Weiteren zeigt die Entscheidung einmal wieder: Ein Vergabeverfahren ist immer nur so gut wie seine Dokumentation!

  Quelle: RA Michael Werner


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare