zurück

Wahlpositionen dienen nicht der Schließung von Planungslücken

24.09.2019

von RA Michael Werner

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 15.05.2019 – Verg 61/18 – folgendes entschieden:

• Wahlpositionen dienen nicht zum Ausgleich von Mängeln einer unzureichenden Planung. Sie dürfen deshalb nur ausgeschrieben werden, wenn dem Auftraggeber die Festlegung auf eine Ausführungsvariante mit zumutbaren Mitteln nicht möglich ist.

• Unter welchen Voraussetzungen Wahlpositionen in vergaberechtlich zulässiger Weise ausgeschrieben werden können, ist Spezialwissen, das auch bei einem fachkundigen Bieterkreis nicht vorausgesetzt werden kann und folglich keine Rügeobliegenheit auslöst.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Juni 2018 Abbrucharbeiten auf einem ehemaligen Militärgelände im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Dabei sollte das Abbruchmaterial auf eine bestimmte Korngröße gebrochen werden, der Bauschutt auf der Liegenschaft verbleiben und für ein Landschaftsbauwerk genutzt werden.

Die Landschaftsplanungen waren allerdings noch nicht abgeschlossen, weshalb der AG eine Korngröße als Grundposition und eine andere als Wahlposition ausschrieb, über deren Ausführung als Grund- oder Wahlposition er erst nach Zuschlag entscheiden wollte. Der AG begründete dies vor allem mit der Notwendigkeit umfänglicher Abstimmungen mit der zuständigen Kommune zur Festlegung der Bauwerksdimension. Bieter A gab auf beide Positionen ein Angebot ab und lag nach Angebotswertung an zweiter Stelle hinter dem Angebot des Bieters B. Er rügte darauf das Verfahren und beantragte Nachprüfung bei der VK. Noch während des laufenden Nachprüfungsverfahren fand eine große Abstimmungsrunde des AG mit der Kommune statt, in der die planerischen Fragen abschließend geklärt werden konnten und in dessen Folge sich der AG auf die Ausführung der Wahlpositionen festlegte. Nachdem die VK dem Antrag des A wegen anderer gerügter Fehler stattgegeben hatte, erhob der bisher beigeladene Bieter B sofortige Beschwerde zum OLG.

Das OLG gibt Bieter B Recht. Erstens stellt es fest, dass B – entgegen der Ansicht des AG – nicht mit seiner Rüge präkludiert (verspätet) sei, da bei der Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes nach ständiger Rechtsprechung auf ein durchschnittlich fachkundiges Bauunternehmen abzustellen sei. Um einen Rechtsverstoß zu erkennen, müsse das betroffene Bieterunternehmen keinen rechtlichen Rat einholen, der Rechtsverstoß müsse sich dem durch die Ausschreibung angesprochenen Bieterkreis aufgrund des bei ihm allgemein vorauszusetzenden rechtlichen Wissens erschließen können. Hier hätte ein durchschnittlich fachkundiger Bieter den Vergaberechtsverstoß in rechtlicher Hinsicht nur erkennen können, wenn er gewusst hätte, unter welchen Voraussetzungen Wahlpositionen in vergaberechtlich zulässiger Weise ausgeschrieben werden können. Insoweit handele es sich um Spezialwissen, das weder bei B noch bei anderen Bietern vorausgesetzt werden könne. Daher habe hier keine Rügeobliegenheit des B bestanden.

Zweitens sei der Nachprüfungsantrag begründet, weil der AG gegen die Grundsätze der Transparenz des Vergabeverfahrens (§ 97 Abs. 1 GWB, § 2 Abs. 1 S. 1 VOB/A EU) und der erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 121 Abs. 1 GWB, § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU) verstoßen habe, da für die ausgeschriebenen Wahlpositionen kein berechtigtes Interesse bestehe.

Wahlpositionen seien Leistungspositionen, in denen sich der AG noch nicht festgelegt habe, sondern mehrere Alternativen der Leistungserbringung ausschreibe, von denen er nach Kenntnisnahme der Angebotsinhalte eine Alternative für den Zuschlag auswähle. Davon zu unterscheiden seien Bedarfs- oder Eventualpositionen. Während sich bei der Wahlposition der AG vorbehalte, die Grundposition durch die Alternativposition zu ersetzen, handele es sich bei Bedarfs- oder Eventualpositionen um Leistungen, bei denen zum Zeitpunkt der Erstellung der Leistungsbeschreibung noch nicht feststehe, ob und ggf. in welchem Umfang sie tatsächlich zur Ausführung kommen würden. Solche Positionen enthielten nur eine im Bedarfsfall erforderliche Leistung, über deren Ausführung erst nach Auftragserteilung und nicht bereits bei Erteilung des Zuschlags entschieden werde.

Die Aufnahme von Wahlpositionen in das LV sei vergaberechtlich nicht grundsätzlich unstatthaft. Zwar tangiere sie die Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung und überdies die Transparenz des Vergabeverfahrens, denn sie ermögliche dem öffentlichen AG, durch seine Entscheidung für oder gegen eine Wahlposition das Wertungsergebnis aus vergaberechtsfremden Erwägungen zu beeinflussen. Unter engen Voraussetzungen seien Wahlpositionen jedoch ausnahmsweise zulässig. Voraussetzung sei ein berechtigtes Interesse des öffentlichen AGs, die zu beauftragende Leistung in den betreffenden Punkten einstweilen offen zu halten.

Nach der Rechtsprechung könne sich ein berechtigtes Interesse aus dem Gebot der effizienten und sparsamen Haushaltsführung ergeben. Als berechtigt erkenne die Rechtsprechung auch ein Interesse an, wenn dem AG durch die Wahlposition die Möglichkeit eröffnet werde, ein technisch höherwertiges Gerät zu erhalten oder bei unsicherer Finanzierung auf eine kostengünstige Alternative zurückzugreifen. Dass ein öffentlicher AG bei der Ausschreibung noch nicht wisse, ob eine Leistung ausgeführt werden könne oder solle oder ob an deren Stelle eine gleichwertige ähnliche Leistung treten solle, reiche für sich genommen für die Annahme eines berechtigten Interesses nicht aus, weil bei einem derart großzügigen Maßstab in unzulässiger Weise, Mängel einer unzureichenden Planung ausgeglichen würden. Ein berechtigtes Interesse sei demzufolge zu verneinen, wenn die Festlegung auf eine der beiden Alternativen möglich und zumutbar sei.

Im vorliegenden Fall könne nicht festgestellt werden, dass sich der AG vor der Ausschreibung unter Ausschöpfung aller ihm zumutbaren Erkenntnismöglichkeiten um eine Klärung der Frage, auf welche Korngröße der Bauschutt zu verkleinern sei, bemüht habe. Weder enthalte die Dokumentation des Vergabeverfahrens eine Begründung hierzu, noch hätten die erst im Nachprüfungsverfahren nachgeschobenen Gründe ein berechtigtes Interesse rechtfertigen können, denn sie stünden in einem unlösbaren Widerspruch zu den tatsächlich eingetretenen Entwicklungen. So habe sich der AG, wie er nur 3,5 Monate nach der Bekanntmachung der Ausschreibung mitgeteilt habe, auf die Korngröße gemäß den ausgeschriebenen Wahlpositionen festgelegt, weil in einer großen Abstimmungsrunde bezüglich der Planung des Landschaftsbauwerks die Dimensionierung des Landschaftsbauwerks beschlossen worden sei. Auch von einem langwierigen Abstimmungsprozess mit der Kommune könne bei einer einzigen „großen Abstimmungsrunde“ nicht gesprochen werden. Zudem seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass bei der Vorbereitung der Ausschreibung im Juni 2018 mit einer derart zügigen Abstimmung nicht zu rechnen gewesen sei. Es sei weder ersichtlich noch dargetan, aus welchen Gründen eine Abstimmung über die Dimension des Landschaftsbauwerks in großer Runde nicht zu einem früheren Zeitpunkt hätte herbeigeführt werden können. Somit spreche vieles dafür, dass sich der AG vor der Zuschlagsentscheidung für eine bestimmte Variante (Grund- oder Wahlposition) hätte entscheiden und nur diese der Angebotswertung hätte zugrunde legen müssen. Anderenfalls sei eine Zuschlagsentscheidung auf das tatsächlich wirtschaftlichste Angebot nicht gewährleistet.

Werner..jpg

Anmerkung:
Es ist immer wieder festzustellen, dass Auftraggeber versuchen, Unzulänglichkeiten und Lücken Ihrer Planung in der Ausschreibung durch sog. Wahlpositionen zu kompensieren. Dies ist aber nur möglich – und dies zeigt die o. g. Entscheidung erneut –, wenn ein klares berechtigtes Interesse des AG an der Aufnahme der Wahlposition besteht. Wenn es also für den AG nur irgendwie möglich ist, eine Variantenauswahl vor der Zuschlagsentscheidung treffen zu können, sollte man von Wahlpositionen in der Ausschreibung besser die Finger lassen.

  Quelle:


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare