von RA Michael Seitz
Der vom Auftragnehmer im Rahmen eines Einheitspreisvertrages auf der Grundlage des Formblattes 221 (VHB 2008) kalkulierte Zuschlag für Wagnis ist nicht als ersparte Aufwendung von der Vergütung nach § 649 Satz 2 BGB in Abzug zu bringen, da hiermit das allgemeine unternehmerische Risiko abgesichert werden soll.
Dies hat der BGH in einem Urteil vom 24. Mai 2016 (VII ZR 201/15) entschieden.
Der Fall: AG, ein öffentlicher Auftraggeber, beauftragt AN auf Basis einer öffentlichen Ausschreibung mit Rohbauarbeiten. Im Formblatt 221 (Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation) des Vergabe- und Vertragshandbuchs für Baumaßnahmen des Bundes (VHB 2008) gab die Auftragnehmerin einen Gesamtzuschlag von 15% an, der sich zu je 5% aus den Baustellengemeinkosten, den allgemeinen Geschäftskosten sowie den Kosten für Wagnis und Gewinn zusammensetzte. AG kündigt den Bauvertrag frei. Die Parteien streiten unter anderem darüber, ob das kalkulierte Wagnis zu den ersparten Aufwendungen gehört.
Das Urteil: Das verneint der BGH ebenso wie die Vorinstanz (OLG Düsseldorf, 5 U 53/14). AN und kann bei einer "freien" Kündigung des AG gemäß § 649 Satz 2 BGB, § 8 Abs. 1 VOB/B die volle vereinbarte Vergütung verlangen. Er muss sich nur dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Erspart sind also alle Aufwendungen, die bei AN infolge der Kündigung entfallen. Hierzu zählen nicht der Gewinn sowie allgemeine Geschäftskosten, soweit sie nicht projektbezogen sind. Ein neben dem Gewinn kalkulierter Zuschlag für Wagnis ist demnach ebenfalls keine ersparte Aufwendung, wenn dadurch das unternehmerische Risiko für die Tätigkeit des AN und die damit verbundene Verlustgefahr gesichert werden soll. Dabei handelt es sich nach Auffassung des BGH nicht um Kosten des Auftragnehmers, die infolge der Kündigung des Vertrages entfallen. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob sich das Risiko, das mit dem Wagniszuschlag abgedeckt werden soll, im konkreten Fall verwirklicht hat oder nicht. Anders verhält es sich nur, wenn AN Zuschläge für so genannte "Einzelwagnisse" kalkuliert, die das Risiko der Leistungserstellung in einzelnen Bereichen des Betriebes und die damit verbundenen Verlustgefahren decken sollen. Kommt es nicht zu der mit diesem Risiko verbunden Vertragsleistung, so ist (nur) diese Kostenpositionen erspart.
Fazit: Mit diesem Urteil revidiert der Bundesgerichtshof eine Entscheidung vom 30. Oktober 1997 (Aktenzeichen VII ZR 222/96). Seinerzeit hatte der BGH entschieden, dass der Wagniszuschlag bei freier Kündigung des Werkvertrages als ersparte Aufwendung zu gelten hat und damit im Rahmen des § 649 Satz 2 BGB von der Vergütung abzuziehen ist. Diese Rechtsprechung hat in der juristischen Literatur zu Recht viel Widerspruch erfahren, denn es leuchtet nicht ein, dass der Auftragnehmer das allgemeine Wagnis für seine Geschäftstätigkeit, dass er bereits mit dem Angebot eingegangen ist, nicht vergütet erhalten soll, wenn er es denn kalkuliert hat. Für die Praxis gilt nunmehr: Neben dem Gewinn kann auch der Zuschlag für Wagnis bei freier Kündigung als Vergütung geltend gemacht werden! |