von Ra Michael Seitz
Sofern nichts anderes vereinbart ist, sind für die Preisfortschreibung bei Mehr- und Mindermengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich.
Dies hat der BGH in einer Entscheidung vom 08.08.2019 (Az.: VII ZR 34/18) entschieden.
Der Fall: AG beauftragt AN – unter Einbeziehung der VOB/B 2009 – in einem Einheitspreisvertrag mit Abbrucharbeiten, unter anderem mit der Entsorgung von kontaminiertem Bauschutt. Die im LV vorgegebene Menge betrug 1 Tonne, der Preis hierfür 462,00 Euro pro Tonne. Später wurden unstreitig knapp 84 Tonnen dieses Bauschutts entsorgt. Daraufhin verlangt AG von AN nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B eine Anpassung des Einheitspreises. AN legt seine Urkalkulation offen. Danach hat er 292,00 Euro Deponie- und Transportkosten, 40,00 Euro eigene Verladekosten sowie 60,00 Euro für die Containergestellung kalkuliert und auf die Fremdkosten 20 Prozent aufgeschlagen. Auch die tatsächlichen Kosten der Entsorgung legt AN auf Verlangen offen. Danach hat er je Tonne 27,37 Euro für die Containergestellung und 64,20 Euro für die Deponierung gezahlt, die Fremdkosten betrugen also rund 92,00 Euro. AG schlägt auf diese Fremdkosten 20 Prozent auf, kommt zu einem Einheitspreis von 109,88 Euro und bezahlt diesen. AN verfolgt hingegen seinen Anspruch auf Zahlung von 462,00 Euro je Tonne weiter.
Das Urteil: Im Ergebnis in allen drei Instanzen weitgehend ohne Erfolg! Zwar billigen alle drei Instanzen dem AN auch die 40,00 Euro eigene Verladekosten zu, die er kalkuliert hat. Im übrigen weisen sie die Klage jedoch weitestgehend ab. Während die Vorinstanz, das OLG Celle, noch von einer vorkalkulatorischen Preisfortschreibung ausgeht, die allerdings nicht für Nachunternehmerkosten gelte, verabschiedet sich der BGH für den § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nunmehr ganz von dem Grundsatz „Guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis“ (der sogenannten „Korbion´schen Formel“) und urteilt stattdessen, dass – vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung der Parteien – Maßstab der Preisfortschreibung die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge seien. Dabei betont der BGH zunächst, dass die Parteien frei darin seien, sowohl bei Vertragsschluss als auch bei Eintritt der Mengenmehrungen, vertragliche Vereinbarungen zu treffen, wie die Mehrmengen abzurechnen sind. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B mache hierfür keine Vorgaben. Eine Vereinbarung nimmt der BGH vorliegend für den von AN kalkulierten Gewinnaufschlag von 20 Prozent an, denn diesen habe AG unstreitig zur Grundlage seiner Preisfortschreibungsberechnung gemacht. Darin liege eine stillschweigende Einigung. Haben die Parteien jedoch keine Einigung über die einzelnen Elemente der Preisbildung einer Mengenmehrung erzielt, so liege eine planwidrige Lücke im Vertrag vor, die unter bestmöglichem Ausgleich der wechselseitigen Interessen durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen sei. Durch die unvorhergesehene Veränderung solle keine der Vertragsparteien eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren. Eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nach Treu und Glaube ergebe dabei, dass – wenn es an einer vertraglichen Bestimmung fehlt – die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich seien. Auf dieser Basis gelangt BGH sodann zum gleichen Ergebnis wie das OLG Celle und spricht dem AN die tatsächlich erforderlichen Fremdkosten sowie den darauf kalkulierten Zuschlag von 20 Prozent und schließlich die 40,00 Euro Eigenkosten zu.
Fazit: Die Entscheidung ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen! Ohne die seit 01.01.2018 geltende Vorschrift des § 650c BGB auch nur zu erwähnen, übernimmt der BGH exakt die dort vorgegebene Formulierung zur Vergütungsanpassung, nämlich die „tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen“ als Maßstab für seine Entscheidung. Damit gibt der BGH nicht nur für den Bereich des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B den Grundsatz der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung auf, er nähert die VOB/B zugleich bei der Preisberechnung der neuen gesetzlichen Regelung an. Zwar gilt die Entscheidung zunächst nur für die Berechnung des neuen Einheitspreises bei Mehr- und Mindermengen von mehr als 10 Prozent, jedoch ist absehbar, dass sich die Überlegungen des BGH auch auf die Preisfindung bei Änderungen des Bauentwurfs (§ 1 Abs. 3 VOB/B) und zusätzlichen Leistungen (§ 1 Abs. 4 VOB/B) übertragen lassen. Ob und wann dies geschehen wird, bleibt abzuwarten. Es dürfte aber feststehen, dass damit das Ende der „Korbion´schen Formel“ eingeläutet wurde. |