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Psssst… Bundesregierung stärkt Sicherheits- und Verteidigungsindustrie

22.02.2021

von RA Simon Gesing / Dr. Thomas Kirch

Sind wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik betroffen, hat der Geheimschutz Vorrang vor dem Wettbewerb. Liegen die Voraussetzungen für eine Ausnahme der Anwendung des GWB-Vergaberechts vor, so entfallen alle sich aus dem Kartellvergaberecht ergebenden Anforderungen wie das Nachprüfungsverfahren, die EU-weite Veröffentlichungspflicht und die Anforderungen an die Durchführung des Vergabeverfahrens. Neu eingeführte Auslegungshilfen des Gesetzgebers für die Beschaffung sicherheits- und verteidigungsindustrieller Güter bieten öffentlichen Auftraggebern mehr Rechtssicherheit bei der Beschaffung und werden Beschaffungsvorgänge in diesem Bereich beschleunigen.

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Simon Gesing, Rechtsanwalt bei Leinemann & Partner, Tätigkeitsschwerpunkte Vergaberecht und privates Baurecht

Die militärischen und zivilen Sicherheitsbehörden stehen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Die Notwendigkeit, kurzfristig und effektiv auf sicherheitsrelevante Entwicklungen sowohl im In- als auch im Ausland reagieren zu können, gewinnt immer größere Bedeutung. Dabei werden die Herausforderungen vielfältiger und reichen von internationalem Krisenmanagement über die Abwehr terroristischer Gefahren bis zu Fragen der Cybersicherheit.

Vor diesem Hintergrund sollen nach dem Willen der Bundesregierung die vom Gesetzgeber eingeräumten vergaberechtlichen Spielräume verstärkt genutzt werden, um die wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen, insbesondere den Erhalt nationaler Souveränität, zu wahren.

Hierzu wurde im Frühjahr das Vergaberecht punktuell angepasst sowie ein neues Strategiepapier beschlossen.

Das Bundeskabinett hat zu Jahresbeginn mit seinem „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ eine Anpassung der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik an die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen angekündigt. Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist die Gesamtheit aller Unternehmen, die Produkte und technische Dienstleistungen zum Zwecke der zivilen Sicherheit und der militärischen Nutzung entwickeln oder produzieren.

Das Strategiepapier dient als Leitbild für die Politik im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Hiernach ist es elementare Aufgabe des Staates, die Sicherung des inneren und äußeren Friedens sowie die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Zentrale Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist eine bestmögliche Ausrüstung der zivilen Sicherheitsorgane sowie der Bundeswehr und ihrer Verbündeten. Die Versorgung mit Ausrüstung sowie die Funktionsfähigkeit kritischer Infrastrukturen sollen jederzeit gewährleistet sein. Auch die rechtlichen Befugnisse und technischen Instrumente der Sicherheitsbehörden sind an die neuen Gefährdungslagen anzugleichen.

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Dr. Thomas Kirch, Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei Leinemann & Partner

Die hierfür notwendigen Schlüsseltechnologien sollen von dauerhaft vertrauenswürdigen Herstellern bezogen werden. Dies erfordert eine innovative, leistungs- und wettbewerbsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland mit entsprechend hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Strategiepapier legt dabei fest, welche Technologien als nationale sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien einzuordnen sind.

Parallel zur Verabschiedung des Strategiepapiers ist im April das „Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ in Kraft getreten. Das Gesetz trägt mit seinen Klarstellungen und Auslegungshilfen zu einer konsequenteren Nutzung vergaberechtlicher Spielräume für eine beschleunigte Beschaffung für die militärischen und zivilen Sicherheitsbehörden bei.

Der Gesetzgeber gibt öffentlichen Auftraggebern insbesondere mit der Einführung von Regelbeispielen in § 107 Abs. 2 S. 2 und 3 GWB Auslegungshinweise an die Hand, wann wesentliche Sicherheitsinteressen berührt werden, wie etwa bei der Beschaffung sicherheits- und verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien. In seiner Gesetzesbegründung verweist der Gesetzgeber darauf, dass die Einstufung einer Technologie als Schlüsseltechnologie durch das Bundeskabinett bzw. Strategiepapiere der Bundesregierung erfolgt.

§ 107 Abs. 2 GWB bestimmt Ausnahmetatbestände vom Kartellvergaberecht zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der BRD. Abs. 2 Nr. 1 regelt, dass das Kartellvergaberecht auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, bei denen eine Vergabe den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe nach seiner Ansicht wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland iSd Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV widerspricht, nicht anwendbar ist. Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV legt fest, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens nach unvereinbar mit seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen ist.

Ist ein Auftrag hiernach vom Kartellvergaberecht ausgenommen, kann der Auftrag freihändig vergeben werden. Zwar sind weiterhin die nationalen, haushaltsrechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen. Auch das Unterschwellenvergaberecht gemäß § 1 Abs. 2 UVgO findet jedoch grundsätzlich keine Anwendung, wenn ein Fall von § 107 GWB vorliegt.

Die Voraussetzungen für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes bleiben dem Grunde nach sehr hoch: Erforderlich ist, dass es um den Schutz wesentlicher staatlicher Sicherheitsinteressen geht. Diese wesentlichen Sicherheitsinteressen müssen die Unanwendbarkeit des Vergaberechts gebieten. Davon kann nur bei einer objektiv gewichtigen Gefährdung oder Beeinträchtigung der Sicherheitslage ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere für Beschaffungen durch Nachrichtendienste. Auch andere besonders sensible Beschaffungen, die ein äußerst hohes Maß an Vertraulichkeit erfordern, können betroffen sein, wie beispielsweise bestimmte Beschaffungen, die für den Grenzschutz oder die Bekämpfung des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität bestimmt sind.

Des Weiteren muss der öffentliche Auftraggeber zwingend eine Abwägung zwischen den öffentlichen Sicherheitsbelangen und den Interessen der Bieter vornehmen. Zugleich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nur dann, wenn die Abwägung ergibt, dass es im Einzelfall geboten ist, kein Vergabeverfahren durchzuführen, greift der Ausnahmetatbestand. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind eng auszulegen. Bei der Inanspruchnahme des Ausnahmetatbestandes hat der Auftraggeber ferner einen Ermessensspielraum. Der öffentliche Auftraggeber trägt ferner die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, aus denen sich der Vorrang staatlicher Sicherheitsinteressen ergibt.

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur beschleunigten Beschaffung im Bereich Verteidigung und Sicherheit bestimmt das in § 107 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 GWB neu eingeführte Regelbeispiel, dass wesentliche Sicherheitsinteressen insbesondere dann berührt sein können, wenn der öffentliche Auftrag sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft und soweit ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.

Zu den sicherheitsindustriellen Schlüsseltechnologien zählen gemäß dem Strategiepapier des Bundeskabinetts insbesondere:
• sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationstechnologien
• künstliche Intelligenz,
• elektronische Kampfführung,
• Krypto sowie gepanzerte Fahrzeuge

Trotz der Einführung des vorbenannten Regelbeispiels wird eine Prüfung, ob im konkreten Fall ein derart hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist, dass auf die Durchführung eines Vergabeverfahrens insgesamt verzichtet werden kann, nicht entbehrlich. Was der Gesetzgeber unter Vertraulichkeit versteht, lässt er an dieser Stelle zwar offen. Nach § 4 Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) sind jedoch Verschlusssachen vertraulich, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann. Eine Einstufung als Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades VS-Vertraulich kommt zum Beispiel in Betracht bei Ermittlungsberichten in Spionageverdachtsfällen oder Erkenntnissen über die Arbeitsweise extremistischer/terroristischer Organisationen. § 4 SÜG ist bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Vertraulichkeit daher vergleichend heranzuziehen.

Der Gesetzgeber hat mit der Einführung von Regelbeispielen wie der Benennung der sicherheitsindustriellen Schlüsseltechnologien für die Bedarfsträger zusätzliche Rechtsklarheit geschaffen. Es steht zu erwarten, dass der Bund diese Regelungen zur effizienten und schnelle Beschaffung nutzen wird.

Bei dem Rückgriff auf die neuen Regeln gilt aber weiterhin, dass sorgfältig zu prüfen ist, ob die Gründe, die es im Interesse des Staates erfordern, von einer Beachtung des Kartellvergaberechts abzusehen, tatsächlich vorliegen.

  Quelle: SUPPLY online


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