Ein Notwegrecht wird grundsätzlich nur dann erteilt, wenn der Eigentümer des hinteren Grundstücks unbedingt auf den Notweg angewiesen ist / In der Regel setzt die ordnungsgemäße Benutzung bei einem Wohngrundstück die Erreichbarkeit mit dem Auto oder anderen Kraftfahrzeugen voraus – allerdings nicht ausnahmslos / Soll ein Bereich aufgrund der besonderen Lage oder des planerischen Konzepts von Kraftfahrzeugen freigehalten werden, ist die Erreichbarkeit mit einem Kraftfahrzeug nicht Bestandteil der ordnungsgemäßen Nutzung
Zugang ja, Zufahrt nein? Grundsätzlich benötigen Eigentümer eine Anbindung zum öffentlichen Wegenetz, um ihr Grundstück ordnungsgemäß nutzen zu können. Besteht kein direkter Zugang, ist das Grundstück gegebenenfalls nur über ein angrenzendes Nachbargrundstück zu erreichen. Der Hinterhausnachbar erhält in diesem Fall ein Durchgangsrecht, das sogenannte Wegerecht. Gestattet der Vorderhausnachbar den Zugang über sein Grundstück nicht, kann dem Hinterhausnachbar nach § 917 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ein Notweg eingeräumt werden. Dabei bezieht sich das Notwegrecht in erster Linie auf den Zugang, nicht aber die Zufahrt. Die von Poll Immobilien Experten (www.von-poll.com) erklären, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Bezug auf die Erreichbarkeit von Wohngrundstücken mit Kraftfahrzeugen entschieden hat.
„Da es sich bei der Einräumung eines Notwegrechts um einen Eingriff in die Eigentumsgarantie handelt, gelten für die Erteilung strenge Voraussetzungen: Lediglich der Eigentümer oder Erbbauberechtigte eines Grundstücks darf ein Notwegrecht verlangen – allerdings können Mieter das Recht auch in Prozessstandschaft für Eigentümer geltend machen“, erklärt Tim Wistokat, Rechtsanwalt und Head of Legal Department bei von Poll Immobilien. Und weiter: „Gehört das unzugängliche Grundstück mehreren Eigentümern, müssen alle gemeinsam das Notwegrecht einfordern. Zudem darf keine Anbindung des Hintergrundstücks zur öffentlichen Straße bestehen und der Hinterhauseigentümer muss auf die Verbindung zur öffentlichen Verkehrsfläche angewiesen sein, um sein Grundstück angemessen benutzen zu können.“
Grundsätzlich wird ein Notwegrecht nur dann erteilt, wenn der Eigentümer des hinteren Grundstücks unbedingt auf den Notweg angewiesen ist. Sollte ein anderer ausreichender Zugang zur öffentlichen Straße bestehen, ist ein Notwegrecht ausgeschlossen – auch wenn die Verbindung umständlich oder unbequem ist. In der Regel setzt die ordnungsgemäße Benutzung bei einem Wohngrundstück auch die Erreichbarkeit mit dem Auto oder anderen Kraftfahrzeugen voraus – allerdings nicht ausnahmslos.
„Laut BGH ist die Erreichbarkeit eines Wohngrundstücks mit einem Kraftfahrzeug zur ordnungsgemäßen Nutzung nicht ausnahmslos vorausgesetzt“, erklärt Tim Wistokat von von Poll Immobilien. „Wenn das Grundstück in einem Gebiet liegt, in dem der Kraftfahrzeugverkehr nach der planerischen Konzeption von den einzelnen Wohngrundstücken ferngehalten werden soll, kann ein Notwegrecht nicht verlangt werden.“ In dem verhandelten Fall (Az: V ZR 268/19, Urteil vom 11.12.2020) hatten die Eigentümer eines Grundstücks, das in einer als Wochenendhausgebiet geplanten Siedlung liegt, geklagt. Zum Hintergrund: Durch die Wohnsiedlung verläuft eine öffentliche Straße, wobei die einzelnen Grundstücke über mehrere etwa zwei Meter breite öffentliche Fußwege zu erreichen sind. Die Nutzung dieser Fußwege mittels PKW, Motorrad oder anderen Kraftfahrzeugen wird durch Verbotsschilder und Poller untersagt. Am Eingang der Siedlung befindet sich ein privater Parkplatz, zudem können Fahrzeuge entlang der mittig verlaufenden, öffentlichen Straße abgestellt werden. Auf dem angrenzenden Grundstück des Beklagten verläuft ein Sandweg, welcher am hinteren Teil des Grundstücks der Kläger vorbeiführt. Den mit der öffentlichen Straße verbundenen Sandweg hatten die Kläger seit 1998 als Zufahrt zu ihrem Grundstück genutzt. Nachdem der Beklagte angekündigt hatte, eine Nutzung des Weges künftig nur noch gegen ein Entgelt zu gestatten – Vertragsverhandlungen hierüber aber gescheitert waren – errichtete er einen Zaun, der die Durchfahrt verhindert. Die Kläger verlangten nun von dem Beklagten die Benutzung des Sandwegs zum Zwecke des Zugangs und der Zufahrt mit einem PKW zu ihrem Grundstück zu dulden.
Tim Wistokat, Rechtsanwalt und Head of Legal Department bei von Poll Immobilien.
Foto: von Poll Immobilien GmbH
„Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, auch die Berufung und die Revision der Kläger blieben erfolglos,“ sagt der Rechtsexperte Wistokat von von Poll Immobilien. „Der BGH stimmt der Entscheidung des Berufungsgerichts zu. Den Klägern steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf die Nutzung des Grundstücks des Beklagten als Zuwegung für ihr Grundstück zu. Es besteht weder ein schuldrechtliches noch ein dingliches Nutzungsrecht. Nach dem BGB kann ein Wegerecht außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund einer schuldrechtlichen Vereinbarung oder als Notwegrecht entstehen.“
Zu einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Parteien ist es allerdings nicht gekommen. Auch steht den Klägern nach § 917 Absatz 1 Satz 1 BGB kein Notwegrecht zu, da es dem Grundstück nicht an der zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendigen Verbindung fehlt. In Hinblick auf die besondere Struktur der Wohnsiedlung ist die Verbindung durch einen öffentlichen Fußweg ausnahmsweise ausreichend.
Fazit „Ein Notwegrecht entsteht grundsätzlich nur, wenn einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. In diesem Fall kann der benachteiligte Eigentümer von seinem Nachbarn verlangen, bis zur Hebung des Mangels die Benutzung des Grundstücks zu dulden. Zwar setzt die ordnungsgemäße Benutzung eines Wohngrundstücks in der Regel die Erreichbarkeit mit einem Kraftfahrzeug voraus, jedoch nicht ausnahmslos. Soll der entsprechende Bereich aufgrund der besonderen Lage oder des planerischen Konzepts von Kraftfahrzeugen freigehalten werden, ist die Erreichbarkeit mit einem Kraftfahrzeug nicht Bestandteil der ordnungsmäßigen Nutzung“, resümiert Tim Wistokat von von Poll Immobilien. |