Welche Voraussetzungen gibt es für eine Erholung der Konjunktur in Schweden und Deutschland nach der Coronakrise? Unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet vergleicht anhand verschiedener Kriterien und fasst die Lage der beiden Länder zusammen.
Gegenwärtig weisen viele Wirtschaftskommentatoren in Schweden und Deutschland ungefähr gleichlautend auf die positive Entwicklung in der Industrie und die bestenfalls mittelmäßigen Zahlen für das Dienstleistungsgewerbe hin. In beiden Ländern wird zudem noch immer über die Probleme in der Restaurant-, Erlebnis- und Freizeitbranche geklagt.
Unterschiedliche Ausgangslagen In diesem Artikel sollen die Voraussetzungen für einen hoffentlich bald erfolgenden stärkeren Aufschwung oder gar einer Normalisierung der schwedischen und deutschen Wirtschaft analysiert werden. Dabei wird das Hauptaugenmerk auf die aktuellen Startbedingungen für eine wahrscheinliche Wachstumsbeschleunigung statt auf strukturelle Wachstumsfragen gerichtet. Es zeigt sich, dass die Ausgangslage beider Länder unterschiedlich ist. Gleichzeitig soll die Analyse etwas breiter gestaltet werden.
Schon seit langer Zeit bin ich in meiner wirtschaftlichen Forschung oft querwissenschaftlich unterwegs, das heißt, dass auch politische und soziale Faktoren, Institutionen, Psychologie, Umwelt, Technik, Digitalisierung, (Aus-)Bildung und Gesundheit in Wirtschaftsanalysen miteinbezogen werden. Es sollte beachtet werden, dass im hier präsentierten qualitativen Ländervergleich noch etliche andere Haupt- und Subfaktoren hinzugefügt werden könnten. Insgesamt kann man von einer Bestandsaufnahme sprechen, aber keineswegs von einem Länderkampf.
Konjunktur – unentschieden Schweden: Die vom BIP des letzten Jahres her ersichtliche, etwas bessere Ausgangsposition sagt nicht allzu viel über die kommende Startgeschwindigkeit der möglichen BIP-Beschleunigung aus. Angesammeltes Potential kann zu einem Konsumschub der Haushalte führen. Die Stimmungsindikatoren sehen positiv aus.
Deutschland: Das deutsche BIP-Niveau hinkt etwas hinter Schweden her. Dies liegt an den in den letzten Quartalen häufigeren, längeren und breiteren Shutdowns. Derzeit zeigen sich ein exportgetriebener Aufschwung sowie eher abwartende Investoren und Konsumenten mit angestauter Nachfrage.
„Die Konjunkturentwicklung wird maßgeblich vom Resultat des Kampfes gegen Corona abhängen – national und global.“
Schlussfolgerung: Es steht außer Zweifel, dass die schwedische und deutsche Konjunkturentwicklung in den nächsten Quartalen in hohem Maße vom Resultat des Kampfes gegen Corona im eigenen Land und global abhängen wird. Deutschland könnte weiterhin von guter Konjunktur in China profitieren, und China ist ein weitaus wichtigerer Handelspartner für Deutschland als für Schweden. Insgesamt befinden sich Schweden und Deutschland realökonomisch in ähnlichem Zustand.
Wirtschaftspolitik und öffentliche Finanzen – Vorteil Schweden Schweden: Die öffentliche Verschuldung Schwedens sieht klar besser aus als die Deutschlands. Dennoch werden die Rufe der zusammen mit den Grünen regierenden Sozialdemokraten nach Steuererhöhungen immer lauter – wie auch die Kritik am privaten Gesundheitswesen. Leider lässt die politische Transparenz weiter zu wünschen übrig, zum Beispiel bei wachstumsrelevanten Faktoren wie Corona und Bildungsfragen wie Pisa.
Deutschland: Covid-19 dominiert seit mehr als einem Jahr die deutsche Wirtschaftspolitik. Dabei ist die Bundesregierung bislang einen deutlich expansiveren wirtschaftspolitischen Kurs gefahren als die Regierung Schwedens. Auch im Wahljahr 2021 verbleibt die deutsche Finanzpolitik expansiv. Über die Finanzpolitik im Jahr 2022 lässt sich noch nichts sagen, da die neue Regierung erst im Herbst feststehen wird. Wie und ab wann wird die Neuverschuldung reduziert? Welche Steuererhöhungen stehen ab 2022 an? Welche Steuerhöherungen kommen zur Finanzierung von klimapolitischen Maßnahmen? Viele offene Fragen können im Sommer noch nicht beantwortet werden.
„In beiden Ländern mangelt es an wirtschaftspolitischen Konturen. Positiv hervor sticht Schwedens geringere Verschuldung.“
Schlussfolgerung: Sowohl Schweden als auch Deutschland mangelt es zurzeit an deutlichen wirtschaftspolitischen Konturen. Allerdings sticht Schwedens klar bessere öffentliche Verschuldung positiv hervor.
Umweltpolitik – Vorteil Deutschland (überraschenderweise) Schweden: Natürlich wird in Schweden an Umweltfreundlichkeit gearbeitet – allerdings etwas konzeptlos. Schweden fehlt der direkte politische und juristische Druck, dem Deutschland vor allem durch die Grünen und die Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt ist.
Deutschland: Es scheint sehr wahrscheinlich, dass sich Deutschland in Zukunft wesentlich grüner entwickeln wird, zumal eine starke Regierungsbeteiligung der Grünen ab Herbst 2021 wahrscheinlich ist. Von großer Bedeutung ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht kürzlich entschieden hat, dass Umweltschutzmaßnahmen vorverlegt werden müssen. Dadurch sollen jüngere und zukünftige Generationen entlastet werden.
„Beim Thema Umweltpolitik fehlt Schweden politischer und juristischer Druck.“
Schlussfolgerung: Schweden fehlt der inzwischen in Deutschland vorhandene politische und juristische Druck.
Domestike Finanzmärkte – Vorteil Deutschland Schweden: Die weiterwachsende Immobilienblase bedeutet Risiken für die Finanzmärkte.
Deutschland: Hausgemachte Finanzmarktprobleme liegen kaum vor, höchstens von notleidenden Krediten.
Schlussfolgerung: Deutschland Finanzmarkt scheint etwas stabiler zu sein, auch wenn in Schweden nicht gerade die Alarmglocken läuten.
Gesundheit / Covid-19 (als soziale Komponente) – Vorteil Deutschland Schweden (schwedische Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten, FHM): 7-Tage-Inzidenz am 18.5.21: 290,5 Impfquote am 18.5.21: 40,3%
Deutschland (Robert-Koch-Institut, RKI): 7-Tage-Inzidenz am 18.5.21: 79,5 Impfquote am 18.5.21: 37,5%
Schlussfolgerung: Deutschland scheint auch in jüngster Zeit aufgrund klar niedrigerer Inzidenz effektiver gegen Covid-19 gekämpft zu haben als Schweden.
Politik – Vorteil Schweden Schweden: Die nächsten Parlamentswahlen findet erst am 11. September 2022 statt, was bislang kaum Spuren in der Öffentlichkeit hinterlassen hat.
Deutschland: Es gibt politische Unsicherheit im Hinblick auf die Bundestagswahlen am 26. September 2021. Schlussfolgerung: Zumindest bis zur Bundestagswahl dürfte sich das politische Klima in Schweden ruhiger gestalten als in Deutschland.
Zusammenfassung Derzeit haben Schweden und Deutschland ungefähr gleiche Voraussetzungen für eine hoffentlich bald kommende Wachstumsbeschleunigung.
Ein baldiges schnelleres BIP-Wachstum hängt in erster Linie von erfolgreicher Covid-19-Bekämpfung global – nicht zuletzt in Indien – und lokal ab. Auch steigende Inflation und Zinsen könnten Wachstumsoptimisten einen Strich durch die Rechnung machen. Allerdings dürfte eine eventuelle geringe Zinserhöhung in den USA und in Europa im Herbst kaum nennenswerte wachstumsbremsende Spuren hinterlassen. Dies schließt aber temporäre Turbulenzen an den Finanzmärkten nicht aus. Ähnliche Schlussfolgerungen gelten auch bei einem weiteren, begrenzten Anstieg von Rohstoffstoffpreisen.
„Das größte Risiko in Schweden scheint bis auf weiteres vom überhitzten Immobilienmarkt auszugehen.“
Das größte Risiko in Schweden scheint bis auf Weiteres vom überhitzten Immobilienmarkt (Wohnungsmarkt) auszugehen, in Deutschland von der politischen Unsicherheit. Bleiben deutliche Konkretisierungen dieser nationalen und globalen Risiken aus, könnten die in Coronazeiten entstandenen Nachfrageverzögerungen von Konsumenten und Investoren in naher Zukunft für sichtbare Wachstumsbelebung sorgen – allerdings nur, wenn es das Coronavirus und dessen Mutationen es zulassen. |