von RA Michael Seitz
Ausgangspunkt für die Berechnung der „angemessenen Entschädigung“, die dem Unternehmer bei Annahmeverzug des Bestellers zusteht, ist die Vergütung für die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel einschließlich der darauf entfallenden Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn.
Die Beweislast hierfür trägt der Unternehmer. Dies hat der BGH in einem Urteil vom 30.01.2020 (Az.: VII ZR 33/19) entschieden.
Der Fall: AN soll zwischen dem 21.11.2016 und dem 07.04.2017 für AG Trockenbauarbeiten durchführen. Weil AG von ihm geschuldete Mitwirkungshandlungen nicht rechtzeitig erbringt, können die Arbeiten erst ab Mai 2017 beginnen. AN verlangt Entschädigung von knapp 160.000 Euro für den Zeitraum vom 21.11.2016 bis zum 02.05.2017 gemäß § 642 BGB. Landgericht und Kammergericht weisen die Klage ab.
Das Urteil: Anders (teilweise) der BGH! Er hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das Kammergericht Berlin zurück. Die Vorinstanz war der Meinung, der zeitbezogene Umsatzverlust des AN sei gemäß § 642 BGB ebenso wenig ersatzfähig wie die in dieser Vergütung enthaltenen Deckungsbeiträge. Das sieht der BGH anders. Er urteilt zunächst, dass es sich bei dem Anspruch aus § 642 BGB nicht um einen umfassenden Schadensersatzanspruch handelt, sondern um einen verschuldensunabhängigen Anspruch eigener Art, auf den die Berechnungsgrundsätze für Schadensersatz nicht anwendbar sind. Nach dem Wortlaut des § 642 Abs. 2 BGB sei bei der Bemessung der Entschädigungshöhe lediglich die Dauer des Annahmeverzugs zugrunde zu legen. Im Ansatz solle § 642 BGB dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür gewähren, dass er während des Annahmeverzuges des AG infolge einer von AG unterlassenen Mitwirkungshandlung Personal, Geräte und andere Produktionsmittel nutzlos bereithält. Einen vollständigen Ausgleich für die während des Annahmeverzuges nicht erwirtschaftete Vergütung gewährt § 642 BGB hingegen nicht. Auch eine Berechnung in Anlehnung an § 648 BGB (volle Vergütung abzgl. ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs) lehnt der BGH ab. Vielmehr sei die in § 642 BGB vorgesehene angemessene Entschädigung im Ansatzpunkt daran zu orientieren, welche Anteile der vereinbarten Gesamtvergütung einschließlich Wagnis, Gewinn und allgemeinen Geschäftskosten auf die während des Annahmeverzuges unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallen. Dies hat der Richter im Rahmen einer Abwägungsentscheidung festzustellen und gegebenenfalls gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Hierzu muss der entscheidende Richter auch feststellen, ob der Unternehmer seine Produktionsmittel anderweitig produktiv hätte einsetzen können, wobei es allerdings nicht darauf ankommen soll, dass es sich um einen sogenannten „echten Füllauftrag“ handelt, also um einen Auftrag, den AN nur annehmen konnte, weil sich AG im Annahmeverzug befand. Zudem liegt die Darlegungs- und Beweislast für diese Kriterien beim Unternehmer. Er muss also dem Tatrichter greifbare Anhaltspunkte für seine Schätzung liefern. Mit dieser Begründung verweist der BGH die Sache an das Kammergericht zur Anwendung dieser Grundsätze und zur erneuten Entscheidung zurück.
Fazit: Beinahe 120 Jahre lang war die Vorschrift des § 642 BGB „terra incognita“ und führte demzufolge auch in der Rechtsprechung einen „Dornröschenschlaf“. Nunmehr hat der BGH mit zwei Entscheidungen (die erste wurde besprochen im Submissions-Anzeiger vom 25.01.2018) Licht ins Dunkel gebracht. Während in der ersten Entscheidung der BGH nur klargestellt hat, dass Ansprüche aus § 642 BGB nur für Zeiten während des Annahmeverzuges bestehen können und dass der Entschädigungsanspruch auch allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn grundsätzlich umfasst, gibt der BGH in dieser Entscheidung nun „Segelanweisungen“ für die Berechnung dieses Anspruchs. Ausgangspunkt ist demnach der Aufwand für die unproduktiv vorgehaltenen Produktionsmittel, die der Tatrichter zu schätzen hat, für die allerdings der Unternehmer darlegungs- und beweispflichtig ist und folglich dem Richter greifbare Anhaltspunkte für diesen Ausfall zu liefern hat. Es ist fraglich, ob der BGH hier dem Unternehmer nicht Steine statt Brot gewährt. Sowohl der Nachweis für die Kosten der während des Annahmeverzuges unproduktiv vorgehaltenen Produktionsmittel als auch der Nachweis, dass diese nicht anderweitig eingesetzt werden konnten, dürfte im Einzelfall schwierig und äußerst streitanfällig sein. Wie die Gerichte damit zukünftig umgehen werden, bleibt abzuwarten.
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