zurück

Die Nachforderung fehlender Unterlagen ist kein absolutes Muss!

07.03.2023

Die Vergabekammer (VK) Berlin hat mit Beschluss vom 23.01.2023 – VK B 2-35/22 – u.a. folgendes entschieden:

1. Der öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich dazu berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern.

2. Es ist dem öffentlichen Auftraggeber nicht nur erlaubt, gar keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit zu machen, sondern auch, die Nachforderung auf bestimmte Unterlagen zu beschränken.

Werner..jpg

RA Michael Werner

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Landschaftsbauarbeiten im Rahmen eines größeren Bauvorhabens im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Aufgrund von Bieterfragen lud der AG während der laufenden Angebotsfrist am 17.10.2022 ein sog. Änderungspaket 3 auf die Vergabeplattform hoch, mit dem die Vergabeunterlagen um weitere, bisher nicht in der Aufforderung zur Angebotsabgabe aufgeführte Unterlagen ergänzt wurden. Bestandteil dieses Änderungspaketes 3 war auch ein von den Bietern auszufüllendes Formblatt über eine Stoffpreisgleitklausel. Der AG stellte sowohl in diesem Änderungspaket als auch in einer Antwort auf eine Bieterfrage klar, dass diese Unterlage im Falle ihres Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert würde. Bieter A lud sein Angebot fristgerecht am 04.11.2022 über die Vergabeplattform hoch, allerdings in einer Fassung vom 26.09.2022, d.h. das auszufüllende Formblatt Stoffpreisgleitklausel war nicht beigefügt. Der AG schloss darauf das Angebot des A von der Wertung aus. A rügte am 16.12.2022 den Ausschluss mit der Begründung, die Vorlage des Formblatts sei nicht aus der ursprünglichen Ausschreibung erkennbar gewesen und hätte deshalb nicht nachträglich gefordert werden dürfen. Jedenfalls hätte einem Bieter, der die erst im Laufe des Vergabeverfahrens geforderte Einreichung der Formblätter "erkennbar übersehen" habe, die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, diese nachzureichen. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte A Nachprüfung bei der VK.

Die VK gibt dem AG Recht. Soweit sich A dagegen wende, dass sein Angebot wegen der fehlenden Einreichung der Unterlage
"Stoffpreisgleitklausel" ohne vorherige Gelegenheit zur Nachreichung ausgeschlossen worden sei, sei der Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet.

Der AG habe das Angebot des A zu Recht wegen der fehlenden Unterlage "Stoffpreisgleit-klausel“ ausgeschlossen. Der Angebotsausschluss sei nach § 16 EU Nr. 3 VOB/A zwingend gewesen. Der AG habe mit der erfolgten Änderung der Aufforderung zur Angebotsabgabe im Rahmen des Änderungspaketes 3 festgelegt, dass die vorgenannte Unterlage mit dem Angebot einzureichen sei und er diese nicht nachfordern werde. Beide Festlegungen seien entgegen der Ansicht des A nicht zu beanstanden. Öffentliche Auftraggeber seien bei Wahrung der Verfahrensgrundsätze aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB (Transparenz, Gleichbehandlung bzw. Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit) grundsätzlich berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend die erfolgte Änderung nicht im Einklang mit den Verfahrensgrundsätzen stehe, seien weder von A dargelegt worden noch ersichtlich. Der erfolgte Nachforderungsausschluss sei außerdem von § 16a EU Abs. 3 VOB/A gedeckt. Hiernach sei es öffentlichen Auftraggebern - a maiore ad minus - nicht nur erlaubt, gar keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit zu machen, sondern auch, die Nachforderung auf bestimmte Unterlagen zu beschränken.

Hiervon habe der AG Gebrauch gemacht und sei insofern auch daran gebunden. Sofern A meine, dass ein Nachforderungsausschluss nicht nachträglich über eine Änderung der Vergabeunterlagen im Vergabeverfahren festgelegt werden könne, sei dem nicht zu folgen. Eine solche Beschränkung sei weder der Norm selbst zu entnehmen, noch aus allgemeinen Verfahrensgrundsätzen abzuleiten. Eine Nachforderung der fehlenden Unterlage bei A sei mithin ausgeschlossen und dessen Angebot demnach wegen Unvollständigkeit zwingend auszuschließen gewesen.

Unabhängig davon sei der Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB bereits unzulässig. Denn A hätte die geltend gemachten Vergabeverstöße gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe, also am 04.11. 2022, gegenüber dem Auftraggeber rügen müssen. Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB sei ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar seien, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt würden. Dieser Rügeobliegenheit, auf die der AG in der Auftragsbekanntmachung auch hingewiesen habe, sei A nicht nachgekommen.

Dabei seien die von A geltend gemachten Vergabeverstöße in den Vergabeunterlagen sowohl tatsächlich als auch rechtlich erkennbar gewesen. Vorliegend sei für einen sorgfältig handelnden Bieter auch ohne besonderen Rechtsrat die von A beanstandete rechtliche Konsequenz erfassbar, wonach die Unterlage " Stoffpreisgleitklausel " mit dem Angebot einzureichen und insofern eine Nachforderung ausgeschlossen sei. Die Bestimmungen seien eindeutig. Ein abweichendes Verständnis werde auch von A nicht geltend gemacht. Für einen sorgfältig handelnden Bieter war ferner ohne besonderen Rechtsrat durch bloßes Lesen der einschlägigen Normen - § 16 EU Nr. 3 VOB/A und § 16a EU Abs. 3 VOB/A - zu erfassen, dass Angebote, bei denen diese Unterlage fehle, zwingend auszuschließen seien. Eines gesonderten Hinweises auf diese Rechtsfolge habe es entgegen der Ansicht des A nicht bedurft.

A habe erstmalig mit seinem Rügeschreiben vom 16. Dezember 2022 bzw. mit dem Nachprüfungsantrag die nachträgliche Einführung einer Preisgleitklausel sowie den erfolgten Nachforderungsausschluss beanstandet, mithin nach Ablauf der Angebotsfrist. A sei insofern mit seiner Rüge präkludiert, der Nachprüfungsantrag mithin bereits unzulässig.

Anmerkung:

Die Nachforderung von Unterlagen gemäß § 16 a EU VOB/A ist differenziert zu sehen:
Gemäß § 16a Abs. 1 EU VOB/A „muss“ der Bieter zwar fehlende oder unvollständige Unterlagen vom Bieter nachfordern. Allerdings kann er – siehe § 16a Abs. 3 EU VOB/A - bereits in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festlegen, dass er keine Unterlagen nachfordern wird. Wie die o.g. Entscheidung der VK Berlin zeigt, ist er dabei nicht festgelegt, generell d.h. im ganzen auf die Nachforderung zu verzichten; vielmehr kann er – wie hier – sich darauf beschränken, nur bestimmte Unterlagen nachzufordern und andere eben nicht.

  Quelle: RA Michael Werner


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare