Foto: Baugewerbe-Verband Niedersachsen
Dipl.-Ing. Matthias Braun ist in der Geschäftsführung der OBERMEYER Planen + Beraten GmbH Bereichsleiter Tragwerks- und Sicherheitsplanung sowie Leiter Gesamtplanungsintegration (BIM / GIS). Für das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat OBERMEYER den BIM-Leitfaden für Deutschland miterarbeitet. Das Unternehmen beschäftigt und 1.200 Mitarbeiter weltweit und bearbeitet rund um den Globus Hoch- und Tiefbauprojekte – von China bis Saudi Arabien. OBERMEYER ist auch in der Wasser- und Abfallwirtschaft aktiv und arbeitet eng mit Forschungseinrichtungen und Fachbehörden zusammen.
BIM ist für viele mittelständische Bauunternehmer eine große Unbekannte. Kann der Mittelstand Schritt halten mit dem digitalen Bauen? Von meiner Seite ein ganz klares Ja! Es geht bei BIM doch um nichts anderes als um die transparente Kommunikation von Bauwerksinformationen.
Bisher sind Pläne auf dem Papier ja zweidimensional. Man kennt Grundrisse und Seitenrisse. Ist das nicht eine deutliche Veränderung, wenn ich als Bauunternehmer plötzlich ein dreidimensionales Planungsmodell auf meinem Computer aufrufen muss? Ich meine, dass das leichter ist als das Lesen eines 2D-Plans. Denn der Mensch denkt dreidimensional. Als Planer bemühe ich mich darum, das komplette Gebäude mit seiner gesamten Infrastruktur in einem BIM-Modell abzubilden. Später ziehe ich daraus 2D-Ansichten für einzelne Gewerke heraus. Für den Planer, der ein Gebäude zuvor ja dreidimensional denkt, spart das einen Schritt. Er muss nicht seine 3D-Vorstellungen zuerst in zweidimensionale Planungsunterlagen überführen. Er sieht im 3D-BIM-Modell sofort, ob seine Planung plausibel ist. Und er muss nicht erst Grundrisse, Schnitte und Leistungsverzeichnisse basteln, sondern kann diese jederzeit aus dem Modell generieren.
Können Sie ein konkretes Beispiel für „plausibel“ nennen? Denken Sie beispielsweise an eine Heizungs- oder Klimainstallation. Im 3D-Modell sieht der Planer sofort, dass ein Rohr nicht durch eine Stütze gehen kann und ändert dies noch im virtuellen Raum. Das ist auch für die Auftragnehmer-Seite im Baugewerbe und -handwerk vorteilhaft, weil Komplikationen, die Zeit- und Kostenpläne durcheinanderwerfen, bereits im Vorfeld vermieden werden. BIM verringert zudem Probleme bei der Kalkulation, denn benötigte Baumaterialmengen können hier sehr genau kalkuliert werden.
In großen Unternehmen und bei Großprojekten wird BIM, so wie Sie es beschreiben, für viel Effizienz sorgen. Doch wie können kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei dieser komplexen Technologie den Anschluss behalten? Für die kleineren Unternehmen in einer Größenordnung zwischen 20 und 100 Mitarbeitern wird sich kurz bis mittelfristig im Baualltag erst einmal gar nichts ändern. Sie erhalten aus dem BIM-Modell abgeleitete 2D-Planunterlagen und arbeiten wie gewohnt damit. Auch eine Zimmerei wird weiterhin die Pläne bekommen, die sie kennt. Sie wird das BIM-Modell, das dahintersteht, gar nicht bemerken.
Und wie sähe 100 Prozent BIM im Baualltag aus? Als Planer gebe ich dem ausführenden Unternehmer eine 3D-Darstellung. Darin sieht er herausgestellt, was sein Teil der Bauausführung ist und erledigt diesen.
Wann wird diese Zukunftsvision Wirklichkeit sein? Dies wird und kann erst stattfinden, wenn wir bundesweit einheitliche Standards für die Informationsübergabe haben werden. Wir reden hier nicht über den Kleinbetrieb, der nur Einfamilienhäuser baut. Gemeint sind KMU, die darüber hinaus zum Beispiel Schulen oder vier- bis fünfgeschossige Gebäude realisieren. Sie sind darauf angewiesen, die Informationen durch ihre oft öffentlichen Auftraggeber in einem einheitlichen Standard zu erhalten, den sie mit ihrer Software problemlos öffnen können. Doch in Deutschland ist derzeit noch nicht absehbar, dass sich die Auftraggeber auf einen einheitlichen Standard einigen und seine Umsetzung forcieren.
Warum ist es so wichtig, dass der Staat die Entwicklung von Informationsstandards vorantreibt? Einheitliche Informationsstandards sind vor allem für KMU unerlässlich. Konzerne tun sich leichter mit verschiedenen Software-Plattformen, die am Markt sind, und sie können sich auch Daten-Spezialisten leisten. KMU werden damit Schwierigkeiten haben. Aber auch wir, als vergleichsweise großes Unternehmen, brauchen derzeit noch sehr datenaffine Mitarbeiter, die sich „in die Eingeweide der Programme hineinwühlen“, um 100 Prozent kompatibel zu sein. Noch einmal zurück zu Informationsstandards: Vor einigen Jahren war einmal das GAEB-Format breit in der Diskussion. Hier wurden Standards für alle definiert: Inzwischen liefern auch kleine Handwerker im Rahmen von Ausschreibungen ihre GAEB-Files ab und wir können die Informationen in unserer Planung direkt weiterverarbeiten. Bei Ausschreibungen haben Baugewerbe und -handwerk GAEB nach der Standardisierung angenommen und arbeiten problemfrei damit.
Andere Länder wie Australien, USA und Großbritannien sind bereits weiter mit BIM. Warum sind wir in Deutschland bei Bauen 4.0 zögerlicher? Vor allem anglophone Staaten sind bei BIM wesentlich experimentierfreudiger. Es mag ein Stückweit deutsche Mentalität sein, dass man erst in einen Zug einsteigt, wenn alles hundertprozentig geregelt ist. Wenn ich mir die Fortschritte bei den Briten ansehe, kann es sein, dass unsere BIM-Informationsstandards über die EU definiert werden, und dass dabei dann vielleicht die Briten die Feder geführt haben werden. Was ich damit sagen will: Wenn sich Deutschland nicht beeilt, werden andere die Standards setzen.
Wann werden wir bei BIM zu allgemein bindenden Informationsstandards kommen? Wahrscheinlich wird vielleicht noch ein halbes Jahrzehnt vergehen. Länder mit Zentralregierungen wie zum Beispiel Frankreich tun sich hier möglicherweise leichter. Bei uns muss der Prozess auch mit allen Bundesländern besprochen werden. Denn Baurecht ist föderales Recht.
Gibt es hier denn Vorreiter? In einigen Bundesländern ist man nach meinem Eindruck schneller als in anderen unterwegs. Zu den Vorreitern zählt auch die Bahn. Sie ist auch für KMU ein sehr wichtiger Auftraggeber und hat ihren Einstieg in BIM vor kurzem entschieden angekündigt. Ab 2017 sollen bei der DB Station & Service AG alle Projekte nur mit BIM-Methoden durchgeführt werden. Der öffentliche Sektor bringt BIM-Pilotprojekte auf den Weg.
Noch einmal zurück zum BIM-Leitfaden für Deutschland und zu den Auswirkungen von Bauen 4.0 auf den Alltag von KMU: Dort ist die Rede von BIM-Managern. Müssen KMU künftig eigens BIM-Spezialisten einstellen? Nein. Diese BIM-Manager werden beim Aufbau und der Pflege von Modellen gebraucht. Bauunternehmen erhalten ihren Teil vom fertigen Modell und können sofort nach der Erstellung der Werk- und Montageplanung und der üblichen Arbeitsvorbereitung mit der Ausführung ihrer Arbeiten beginnen. Ein Rohbauer würde nur die Tragwerkskonstruktion sehen. Es muss ihn nicht kümmern, wie das Modell entstanden ist. Bei sehr großen General-Unternehmern (GU) mit Volumina, die sich in mehrstelligen Mio.-Größenordnungen bewegen, werden BIM-Manager benötigt werden.
Droht nicht die Gefahr, dass BIM neue Sprachbarrieren aufbaut – Beispiele: Ein Balken ist bei BIM ein IfcBeam, ein Bauteil / Bauelement ist ein IfcBuildingElementProxy, ein Ablauf / Abscheider ist ein IfcWaste. Ist das handwerkertauglich? Das braucht den Handwerker am Bau nicht zu interessieren. Das sind interne Begriffe für jene, die die Modelle erstellen. Damit kommt niemand am Bau in Berührung. Das ist so tief „in den Eingeweiden“ der Industry Foundation Classes (IFC) verankert, dass es weitestgehend nur den Programmierer interessiert. Wir haben 1.200 Planer – und sehr wenige Eingeweihte, die sich mit den Begriffen aus Ihrer Frage auskennen. Also keine Sorge: BIM wird für den Endnutzer nicht komplizierter als der Umgang mit den bisherigen Plänen.
Können Sie das konkret erklären? Ein Beispiel: Eine Wand ist auf einen 2D-Plan schraffiert dargestellt, wenn sie massiv ist. Wenn Sie die Planzeichenverordnung nach DIN nicht kennen, können Sie den Grundriss nicht interpretieren. Inklusive der Höhenangabe müssen Sie nun den Grundriss im Kopf in ein dreidimensionales Modell überführen. BIM erspart Ihnen das. Sie sehen die Wand im 3D-Modell vor sich und wissen sofort, was Sie tun müssen. BIM liefert Ihnen auch gleich noch das Material – zum Beispiel Hochlochziegel. Wer heutige 2D-Pläne interpretieren kann, wird BIM locker verstehen.
Welche Investitionen in digitale Infrastruktur kommen auf KMU zu? Jedes Unternehmen, das Mehrfamilienhäuser oder Schulen baut, hat im Regelfall bereits die Computer-Infrastruktur, auf der sich BIM-Modelle darstellen lassen. Handelsübliche Computer und Laptops reichen dafür aus. Ich werte sogar mit meinem kleinen Reise-Laptop derzeit ein ca. 180-Mio.-Projekt aus. Software ist ein Thema. Es gibt zwar gewisse Standards wie IFC. Diese sind aber für die Software-Unternehmen nicht bindend.
Und hier ist der Staat gefordert? Die öffentliche Hand argumentiert derzeit damit, dass man nicht in den Markt eingreifen will. Momentan funktioniert die Zusammenarbeit bei den am Bau Beteiligten meist problemfrei, wenn sie sich in einer Softwarewelt eines Herstellers bewegen.
Jüngst wurde eine gemeinsame Verbände-Initiative „planen-bauen 4.0 – Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH“ gegründet. Diese soll die Standardisierung vorantreiben. Ich sage: „Da muss Dampf auf den Kessel!“ Denn die Wertschöpfungspotenziale von BIM sind für alle am Bau Beteiligten, auch für die ausführenden Unternehmen, enorm!
BIM bringt eine umfassende Dokumentation des gesamten Planungs- und Baugeschehens. Ist das gut oder schlecht für ausführende Baubetriebe als Auftragnehmer? Es gibt denen, die oft in Netzwerken von GUs arbeiten, mehr Sicherheit, weil alle Leistungen in BIM dokumentiert werden. In der Endausbaustufe wird der GU auch seine Terminpläne pflegen. Diese sind dann allen am Bau Beteiligten zugänglich. Gut: Wer hier nicht terminhaltig arbeitet, fällt dann vielleicht auch eher auf. Insofern gibt es auch ein gewisses Risiko. Insgesamt nützt die größere Transparenz aber allen.
Wie sollen und können Chefs von KMU sich fortbilden, um den Anforderungen im BIM-Zeitalter zu genügen? Ich würde raten, einfach die Augen und Ohren offenzuhalten und die Entwicklung unter ständiger Prüfung der eigenen Wertschöpfungskette zu verfolgen. Bis ein 3D-Modell auf die Baustellen eines mittelständischen Unternehmens verbindlich durchschlägt, wird noch einige Zeit vergehen. Vor allem die öffentliche Hand sollte man als wichtigen Auftraggeber im Auge behalten. Ich glaube, dass wir in vier bis fünf Jahren einheitliche Standards haben werden. Dann wird BIM rollen wie eine Lawine. Die Realität in den Betrieben wird abgesehen von Großprojekten aber evolutionär sein. Es wird nicht von null Prozent BIM auf 100 Prozent BIM gehen. |