Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 16.03.2015 – VK 2-9/15 – Folgendes entschieden:
• Die Entscheidung, welcher Gegenstand mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften beschafft werden soll, obliegt dem öffentlichen Auftraggeber. Dieser ist in der Auswahl der von ihm zu beschaffenden Gegenstände grundsätzlich frei. Grenze des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers ist aber die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung.
• In technischen Anforderungen darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen eines bestimmten Ursprungs verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dies ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt.
• Gegen die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen und explizit in der Leistungsbeschreibung genannt worden ist, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein Leitfabrikat ausgeschrieben wurde, weil nur ein einziges Produkt allen Vorgaben gerecht werden kann.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen Rahmenvertrag über Lieferung und Wartung von Sport-, Fitness- und Therapiegeräte europaweit ausgeschrieben. In der Leistungsbeschreibung waren exakte Maße (Größe und Gewicht) der Geräte (u.a. Hanteln) aufgeführt. Bieter A rügte, dass das LV mit § 8 EG Abs. 7 Satz 1 EG - VOL/A unvereinbar sei, weil der AG bei mehreren Geräten verdeckt herstellerbezogen ausgeschrieben habe. Die geforderten Maße könnten nur von anderen Produzenten hergestellt werden, während seine eigenen Geräte sich teilweise erheblich von den ausgeschriebenen Maßen unterschieden. Die produktbezogenen Vorgaben seien auch nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, weil diese ohne jeglichen Einfluss auf die Qualität und Funktionalität der Geräte seien; mit seinen eigenen Geräten könnte derselbe Trainingseffekt erzielt werden. Nach erfolgloser Rüge ruft A die Vergabekammer an.
Die Vergabekammer (VK) gibt hier A Recht. Das Verfahren muss auf den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückversetzt werden. Soweit sog. „Kurzhanteln“ mit einer Gewichtsabstufung von 1,25 kg ausgeschrieben seien, verstoße dies gegen das Gebot der Produktneutralität, denn diese Hanteln würden nur von einem einzigen Wettbewerber hergestellt. Eine sachliche Rechtfertigung hierfür bestehe nicht, da die Begründung des AG, die Probanden hätten diese Abstufung als besonders angenehm empfunden, nicht dokumentiert sei. Hinsichtlich anderer Geräte habe der AG zwar kurz vor Ablauf der Angebotsabgabefrist das LV insoweit abgeändert, als er die exakten Vorgaben mit dem Zusatz „ca.“ versehen habe. Allerdings habe er die Bandbreite von zulässigen Abweichungen dabei nicht angegeben und verstoße hierdurch gegen das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot. Eine hinreichende Transparenz sei Voraussetzung für eine diskriminierungsfreie Vergabe. Gegen diesen Grundsatz werde verstoßen, wenn die in den Vergabeunterlagen zum Ausdruck gebrachten Anforderungen aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit nicht von allen Bietern im gleichen Sinne verstanden werden könnten. Der AG habe den im LV aufgenommenen Zusatz „ca.“ nicht näher konkretisiert. Es bleibe demnach offen, in welchem Umfang Abweichungen von den Vorgaben im LV zugelassen würden und nicht zum Ausschluss wegen Abweichung von den Vergabeunterlagen (gemäß § 19 Abs. 3 Ziff. d EG-VOL/A) führen würden. Nach allgemeiner Verkehrsauffassung dürften Abweichungen von unter 10 % im Rahmen dessen liegen, was als „ca.“ bezeichnet werden könne. Da hier der AG jedoch Abweichungen in den Abmessungen von weit über 10 % akzeptiert habe, könnten andere Bieter gegebenenfalls von der Angebotsabgabe abgehalten worden sein, da nicht ersichtlich sei, welche anderen Maße hätten angeboten werden können.
RA Michael Werner
Partner in der Kanzlei ZIRNGIBL LANGWIESER Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
Haus Cumberland Kurfürstendamm 194 D - 10707 Berlin E-Mail: M.Werner@zl-legal.de www.zl-legal.de
Anmerkung: Die Entscheidung zeigt erneut, wie überaus wichtig es ist, dass der Auftraggeber tatsächlich produktneutral ausschreibt. Bestimmte Produkte – ob dies ausdrücklich oder versteckt geschieht – dürfen nur dann gefordert werden, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist. Hierzu bedarf es jedoch einer ausgesprochen genauen und detaillierten Dokumentation durch den Auftraggeber. |